23.05.2022
von
Jonas Albrecht
Ein Album auf der Suche nach der absoluten Schönheit im Klang. Nicht mehr und nicht weniger. Laut Marina Herlop formte kein Thema, keine Botschaft und kein biografisches Ereignis ihre Musik, einzig allein vom Prinzip der Ästhetik liess sich die katalanische Sängerin leiten. Ob das überhaupt möglich ist, darüber mag gerne diskutiert werden, jedenfalls ist die Ambition als solche mindestens so interessant wie das Ergebnis. Was beim Hören auffällt sind die Genauigkeit und Klarheit, welche diese Musik entfaltet. Herlop navigiert mit unglaublich viel Feingefühl durch rhythmische Ebenen und spannt so herausfordernde wie bewegende melodische Bögen. Direkt und pur.
"(...) it’s just music, and music standing alone feels actually bigger than anything for me."
Die technische Versiertheit ist der klassisch trainierten Pianistin jedenfalls nicht abzusprechen. Scharfe Perkussionselemente überschlagen sich mit präzisen Reibungen der Mehrstimmigkeit, grösstenteils akustische Elemente werden mit Elektronik verzerrt und verzogen. Jedoch wirkt das Album Pripyat - benannt nach der ukrainischen Stadt neben Chernobyl, welche bis heute intakt und verlassen in der Welt steht - nie gekünstelt oder zwanghaft. Im Gegenteil, Marina Herlop schafft es, stets einen intuitiven Bezug herzustellen, welcher sich unmittelbar in eine direkte emotionale Erlösung entlädt. So gelassen, leicht und mit einer Selbstverständlichkeit wie sie vielleicht nur eine postapokalyptische Welt ohne Mensch kennt.
Mehr über Marina Herlop und ihre Art, Musik zu denken und zu machen erfährst du in dieser Fokusepisode von Monde Sonore, inklusiv Interview.
Die radikalen Ambitionen zeigen sich auch in diesem Musikvideo. Um die 60 Stunden bei schlecht Wetter und wenig Schlaf warteten Herlop und ihr Team, um die Szenen mit zwei gebährenden Kühen zu drehen.
Pripyat von Marina Herlop erschien am 20. Mai 2022 via PAN.