Wie geht es den Schweizer Musikschaffenden nach der Pandemie? Kann man in der Schweiz von der Musik leben? Welche Machtapparate und Ausschlussmechanismen prägen die Musiklandschaft? Wie wird dagegen angekämpft? Diese Fragen wurden von Bettyna Dyttrich in ihrem Buch "Es hilft, dass ich Leute anschreien darf" aufgegriffen, das 2022 beim Rotpunktverlag veröffentlicht wurde. Das Buch beinhaltet Gespräche mit 13 Schweizer Musikschaffenden und Bands. Mehr über das Buch und seinen Entstehungsprozess erfährst du in der ganzen Sendung!
"Ich mag eifach Autotune!"
Heute lebt Bettina in Bern und St. Gallen. Als Redakteurin bei der Wochenzeitung WOZ beschäftigt sie sich mit Themen wie Agrarpolitik und Ökonomie. Musik hat jedoch schon immer eine große Rolle in Bettinas Leben gespielt. In jungen Jahren, stark sozialisiert mit den Punk- und Hardcore-Klängen von Bands wie Fugazi und Kleenex/LiLiPUT, zog es sie nach der Matura bis in die Tiefen Sibiriens. Dort faszinierten sie die einzigartigen Stimmen des traditionellen Kehlkopfgesangs. Immer wieder finden sich auf Bettinas Playlist Stücke von Künstler*innen, die ihre Stimme auf unkonventionelle Weise zu nutzen wissen. Autotune spielt dabei eine wichtige Rolle. Dass sich Stimmen dabei nicht robotisch und kühl anfühlen müssen, zeigt beispielsweise "Speak Trader" von Elischa Heller. In ihrem Buch schreibt Bettina:
"Er legt sich offen, zeigt seine Verletzungen: das Autotune verbirgt sie nicht, sondern verstärkt sie noch."
Musik im Umbruch
Für ihr Buch hat Bettina dreizehn Musiker*innen und Bands interviewt, um die Vielfalt der hiesigen Musikwelt abzudecken. Dabei kommen jedoch nur Interpretinnen zu Wort, die Bettina persönlich spannend findet. Finanzieller Erfolg und Reichweite spielten daher keine entscheidende Rolle. "Es hilft, dass ich Leute anschreien kann" erschien zu einer Zeit, als die Erinnerungen an die Pandemie noch frisch waren. Anderthalb Jahre später ist laut Bettina die Corona-Pandemie allmählich aus dem Bewusstsein geschwunden. Mensch kann wieder auftreten. Die prekären Arbeitsbedingungen in der Musikszene und die schädlichen Ausschlussmechanismen bestehen jedoch weiterhin. Dennoch bleibt Bettina optimistisch für die Zukunft. Institutionen wie Helvetiarockt oder das Berner Finta*-Label Forcefield sieht sie als Symbole des Umbruchs. Machtstrukturen werden hinterfragt, marginalisierte Menschen sichtbar gemacht. Etwas, das Ende der 90er-Jahre in Bettinas Jugend zu einem grossen Teil noch fehlte.
"Jungs haben ihre Proberäume, skaten, machen alle coolen Sachen. Ich wollte natürlich dann auch so sein wie sie. Schnell unterwirft man sich diesem Groove, ist aber trotzdem kein Teil davon."
Playlist:
Jeans for Jesus - in deinem garten
Elischa Heller - Speak Trader
Bahnhofbuffet Chancental - De Dani häts verstande
ENL - Stärbe
Big Zis - Au79
Omni Selassi - Horses They Run Too
Alwa Alibi - chline Bueb
Obliecht - Power Ranger
Mister Milano - Piccolo Grande
Emilie Zoé - The River
Mnevis - Halden
Züri West - 3027
Fugazi - Give Me The Cure
Kleenex - Hedi's head
Huun-Huur-Tu - Sygyt
Kino - Последний герой
Low - White Horses
Grove - Sticky
Dawuna - The General
Dorian Wood - The Angel