Auch fünfzig Jahre nach seiner Ermordung infolge des Pinochet-Putsches bleibt Victor Jara im heutigen Chile so präsent wie nie zuvor. Mit seinen Texten über soziale Gerechtigkeit, die Sehnsucht nach einem friedlichen Leben und den Kampf gegen kapitalistische und kolonialistische Unterdrückungssysteme spricht er nicht nur die Vergangenheit des südamerikanischen Landes an, sondern auch die von Unruhen und Umwälzungen geprägte Gegenwart.
Egal, ob bei Protesten auf den Straßen, in Geschäften oder in den chilenischen Haushalten, überall ist sein Einfluss spürbar. Victor Jara ist längst zu einem integralen Bestandteil der chilenischen Identität geworden und verkörpert das Symbol der fortwährenden Sehnsucht nach einem besseren Leben. Schulen, Straßen und sogar ganze Himmelskörper tragen heute seinen Namen. Dies rechtfertigt eine eingehendere Betrachtung des Lebens dieses politischen Aktivisten und Musikers.
Das Verlangen nach einem freien Leben
So erhaben sein posthumer Ruhm auch sein mag, Victor Jaras Anfänge waren von bescheidener Natur. Er wurde als eines von sechs Kindern in eine ärmliche Bauernfamilie hineingeboren. Sein Vater, ein Analphabet, verweigerte seinen Kindern den Schulbesuch, da er glaubte, dass es sinnvoller sei, wenn sie auf dem Hof mithelfen würden. Doch frühzeitig ergriff sein Vater von einer schweren Alkoholabhängigkeit Besitz, und die Mutter entschied sich, mit den Kindern in die Hauptstadt Santiago zu ziehen. Dort fand sie eine Anstellung in einem Restaurant und versuchte auf eigene Initiative, ihre Kinder zu unterrichten.
Als Victor Jara 15 Jahre alt wurde, verstarb jedoch seine Mutter. Als Halbwaise wurde er in ein Klosterseminar geschickt, wo man davon ausging, dass er den Weg eines Priesters einschlagen würde. Doch Victor wurde desillusioniert von der katholischen Kirche und ihren heuchlerischen Versprechen und verließ die Schule, um einige Jahre im chilenischen Militär zu verbringen.
Jahre später erinnerte sich Victor Jara an seine Eltern. In einer Hommage an sie erzählte er in seinem Lied "Te Recuerdo Amanda" von der Liebesgeschichte zwischen Amanda und Manuel. Es ist wohl kein Zufall, dass die beiden Protagonisten die gleichen Vornamen tragen wie seine eigenen Eltern.
Zwischen Tradition und Neuerung
An der Universität, wo sich Jara für das Theater zu interessieren begann, wuchs auch sein Interesse an der Musik und der Dichtkunst. Im Jahr 1957 kam es zu einer wegweisenden Begegnung zwischen Victor Jara und Violeta Parra, der legendären Musikethnologin, Folkloristin und Musikerin. Violeta Parra trug maßgeblich zur Erneuerung, Bewahrung und Verbreitung der traditionellen chilenischen Musikkulturen bei. Durch ihre Bemühungen, das musikalische Erbe des Landes zu bewahren, veränderte sich die musikalische Wahrnehmung im Land grundlegend.
Dies führte zur Entstehung der Nueva Canción, einer musikalischen Bewegung, die traditionelle Elemente aus der Vergangenheit aufgriff und mit zeitgenössischen Texten zu aktuellen Problemen verband. Victor Jara, der Anfang der 1960er-Jahre der kommunistischen Partei beitrat, wurde schnell zu einer herausragenden Figur dieser neuen Bewegung. Mit seinen Liedern über soziale Ungerechtigkeit und eine Zukunft ohne gesellschaftliche Hierarchien etablierte er sich als einer der bedeutendsten Vertreter. In seinem Lied "Manifiesto" singt er:
Ich singe nicht wegen des Singens, noch habe ich eine gute Stimme. Ich singe, weil die Gitarre mir einen Sinn und einen Grund gibt.
Wir werden gewinnen
Mit dem Amtsantritt von Salvador Allende, einem demokratisch gewählten sozialistischen Politiker, avancierte Jara zur Stimme des neuen Chile. Trotz seiner marxistischen Überzeugungen lehnte er wie auch Allende die gewaltsame Revolution ab, da sie beide davon überzeugt waren, dass nachhaltiger Wandel nur durch demokratische Mittel erreicht werden könne. Die Präsidentschaft von Allende war geprägt von tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen. Die Arbeitsbedingungen der Geringverdiener*innen wurden erheblich verbessert, und das Land wurde gerechter unter den Landwirtschaftsarbeiter*innen verteilt.
Im Zuge der Wirtschaftssanktionen, die westliche Staaten aufgrund des Kalten Krieges gegen das sozialistisch regierte Chile verhängten, geriet Allende jedoch in eine schwerwiegende Krise. Diese Krise war nicht nur wirtschaftlicher Natur. Bereits von Anfang an gab es in Teilen der Bevölkerung eine erhebliche Ablehnung gegenüber Allende. Die Inflation verschärfte diese Spannungen weiter. Am 11. September 1973 kam es schließlich zum Putsch. Militärbefehlshaber Augusto Pinochet stürmte mit seinen Truppen den Präsidentschaftspalast und übernahm die Macht. Allende beging Suizid.
Als Sprachrohr der sozialistischen Regierung unter Allende gehörte Jara zu den ersten Opfern der Militärdiktatur. Im Estadio de Chile, einer Sporthalle, die in ein improvisiertes Gefängnis umgewandelt wurde, wurde Jara gefoltert und misshandelt, bis er schließlich von zahlreichen Kugeln durchlöchert ermordet wurde. Auch fünfzig Jahre nach diesem dunklen Kapitel in der Geschichte Chiles bleiben die Wunden des 11. Septembers tief.
Playlist
Victor Jara - Paloma Quiero Contarte
Victor Jara - La Partida
Victor Jara - Ni Chicha Ni Limoná
Victor Jara - Te Recuerdo Amanda
Victor Jara - La Cocinerita
Victor Jara - Aquí Me Quedo
Victor Jara - Cai Cai Vilú
Victor Jara - Manifiesto
Victor Jara - El Pimiento
Victor Jara - Las Casitas del Barrio Alto
Victor Jara - Preguntas por Puerto Montt
Victor Jara - El Aparecido - Remaster 1995
Victor Jara - Herminda de la Victoria
Victor Jara - Plegaria a un Labrador
Victor Jara - Angelita Huenuman
Victor Jara - Vamos por Ancho Camino
Victor Jara - El Cigarrito - 2001 Digital Remaster
Victor Jara - Abre la Ventana
Victor Jara - Que Lindo Es Ser Voluntario
Victor Jara - Duerme, Duerme Negrito
Victor Jara - Vientos del Pueblo
Victor Jara - Caminando, Caminando
Victor Jara - Canto Libre
Victor Jara - La Beata
Victor Jara - A Desalambrar
Victor Jara - Luchín
Victor Jara - Himno de la Unidad Popular (Venceremos)
Victor Jara - El Arado
Victor Jara - Despedimento Del Angelito - 2001 Digital Remaster
Victor Jara - Ojitos Verdes
Victor Jara - El Derecho de Vivir en Paz