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Sibirischer Punk in der Sowjetunion

Tausende Kilometer entfernt vom ersten legalen Rockclub der Sowjetunion in Leningrad und Bands wie Kino oder Aquarium, bildete sich in den 80er-Jahren in den Tiefen Sibiriens eine einzigartige Punkszene. Damals war die Publikation von Musik in der Sowjetunion streng reguliert und praktisch nur über das staatseigene Musiklabel Melodija. Auch bei öffentlichen Konzerten war der Staat involviert. Musiker*innen mussten vor Auftritten ihre Texte von den Behörden entgegenlesen lassen, bevor sie sie auf der Bühne präsentieren konnte. Diese Limitationen versuchten die revolutionären Punker*innen Sibiriens durch verschiedene Strategien zu umgehen. Neue Musik wurde im Privaten in Home-Studios aufgenommen, auf Kassetten kopiert und dann an Freund*innen im ganzen Land weiterverschickt. Auch Konzerte fanden vor allem im Privaten statt. Die Bands tourten also nicht von Bühne zu Bühne, sondern von Wohnzimmer zu Wohnzimmer oder von Keller zu Keller. So erlangten Bands wie Grazhdanskaya Oborona oder Cherniy Lukich schnell eine kleine Fangemeinde in der ganzen Sowjetunion. So war es möglich, äusserst vulgäre, aggressive, staatskritische Musik in der restriktiven Sowjetunion zu betreiben.

Egor Letov und Grazhdanskaya Oborona

Die wohl prägendste Figur der sibirischen Punkszene war Egor Letov. Seine Eltern stammen aus der kasachischen Stadt Semej unweit vom grössten Nukleartestareal der Sowjetunion. Vermutlich wegen den Folgen der starken Verstrahlung, hatte die Familie stets mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Letov erlitt in seiner Kindheit starke Anfälle und landete sogar im Koma. Eine Diagnose gab es aber nie. Mit der Vorahnung, dass ihr Kind vielleicht bald die Erde verlassen könnte, waren die Eltern sehr bemüht, ihrem Sohn ein möglichst unbeschwertes Leben zu ermöglichen. So wuchs Letov sehr liberal und ohne viel Limitationen auf, was vielleicht auch später seine unerschrockene Art zu Dichten ermöglichte. Mit der Band Grazhdanskaya Oborona (dt. Zivilverteidigung) schuf Letov in den 80er-Jahren Musik, mit der sich ein Grossteil der sowjetischen Jugend identifizieren konnte. Er schrieb über den maroden Zustand der Sowjetunion, sein Verlangen auf Änderung und Freiheit und ein Leben ausserhalb der diktatorischen Gewalt. Trotz der Praxis der Band, Musik praktisch nur im Schutz von privaten Wohnungen aufzunehmen und vorzuführen, gelangt die Band bald ins Fadenkreuz des sowjetischen Geheimdienstes KGB. Unter der lächerlichen Anschuldigung, die Gruppe hätte die Sprengung einer Öl-Raffinerie geplant, wurde Letov Opfer einer Zwangseinweisung in eine psychiatrische Klinik. Erst auf Drängen seines älteren Bruders, damals ein renommierter Avant-Garde Saxophonist gelangte Letov wieder auf freien Fuss. Geprägt von diesem Erlebnis schrieb er sein wohl legendärstes Lied "Vse idet po planu" (dt. alles läuft nach Plan).

Nur unser Großvater Lenin war ein guter Führer.

Alle anderen sind so eine Scheiße.

Alle anderen sind Feinde und solche verdammten Arschlöcher.

Über dem Heimatland, dem Land unserer Väter, fiel ein wahnsinniger Schnee.


Typisch für Egor Letovs Schreibstil war die Verschmelzung poetischer Stilmittel mit dem sogenannten Mat, einer vulgären russischen Alltagssprache.


Yanka Dyagileva

Ist Egor Letov der König des sibirischen Punks, so ist Yanka Dyagileva die unbestrittene Königin. Aufgewachsen als Einzelkind in einer Familie mit ukrainischen und tschechischen Wurzeln, verbrachte Yanka in ihrer Kindheit viel Zeit alleine beim Lesen und Schreiben. Als Studentin in Nowosibirsk fing sie an, sich für die sibirische Musikszene zu interessieren. Auf sogenannten Kvartirniki, kleinen Konzerten in privaten Wohnungen oder Kellern, lernte sie unter anderem auch Egor Letov kennen, mit dem sie fortan eine enge Beziehung pflegte. Später stellte sie sich sogar als die Frau von Egor Letov vor. Während ihres Lebens versuchte sie stets Geschlechternormen infrage zu stellen und zu durchbrechen. So sprach sie über sich selbst oft in männlichen Pronomen und trug stets Männerkleider. Zusammen mit Letov nahm sie in seinem Homestudio Grob (dt. Sarg) Records rund 30 Songs auf. Bis heute sind das die einzigen Studioaufnahmen, die von Yanka existieren. Einige der Songs nahm sie allein auf der Gitarre auf, bei anderen Tracks wurde sie von Musikern von Grazhdanskaya Oborona unter dem Namen Velikiye Oktyabri (Die grossen Oktober) begleitet. Im Song Po tramvainym relsam singt sie über Realitätsflucht und ihrer Unzufriedenheit mit der sowjetischen Gesellschaft.

Du und ich werden entlang der Straßenbahnschienen spazieren gehen,

Setzen uns auf die Rohre am Anfang der Ringstraße

Schwarzer Rauch aus dem Schornstein einer Fabrik wird unser warmer Wind sein

Das gelbe Schild der Ampel wird unser Leitstern sein

Wenn wir können, werden wir nicht vor Einbruch der Dunkelheit in den Käfig zurückkehren



Yanka starb 1991 unter bis heute ungeklärten Umständen. Ihr Tod gilt heute symbolisch auch als der Tod der sibirischen Undergroundbewegung generell.


Playlist (Kyrillisch)

Гражданскаыа Оборона - Государство

Гражданскаыа Оборона - Все идет по плану

Гражданскаыа Оборона - Зоопарк

Гражданскаыа Оборона - Некрофилия

Гражданскаыа Оборона - Бери шинель (Лике а Роллинг Стоне)

Гражданскаыа Оборона - Поганая молодёжь

Гражданскаыа Оборона - Всё как у людей

Гражданскаыа Оборона  - Моя оборона

Гражданскаыа Оборона - Солдатами не рождаются

Ыанка - Рижская (1988)

Ыанка - На чёрный день (1988)

Ыанка - По трамвайным рельсам (1988)

Ыанка - Гори-гори ясно

Ыанка - Печаль моя светла

Ыанка - Выше ноги от земли

Ыанка - Я стервенею (1988)

Ыанка - Особый резон (1988)

Ыанка - От большого ума (1988)

Гражданскаыа Оборона - Родина

Гражданскаыа Оборона - Про дурачка

Гражданскаыа Оборона - Долгая счастливая жизнь

Инструкция по выживанию - Афганский синдром

Инструкция по выживанию - Нож в спину

Инструкция по выживанию - Не осталось никого

Гражданскаыа Оборона - Мёртвые

Гражданскаыа Оборона - П. С. Сам (Айя)

Гражданскаыа Оборона - Город детства

Егор и Опизденевшие - Офелия

Егор и Опизденевшие - Песенка о святости, мыше и камыше

Черный Лукич - Мы идём в тишине (бонус)

Черный Лукич - Еду на север (бонус)


Playlist (Lateinisch)

Grazhdanskaya Oborona - Gosudarstvo

Grazhdanksaya Oborona - Vse idet po planu

Grazhdanskaya Oborona - Zoopark

Grazhdanskaya Oborona - Nekrofilija

Grazhdanskaya Oborona - Beri šinelʹ (Like a Rolling Stone)

Grazhdanskaya Oborona - Poganaja molodëžʹ

Grazhdanskaya Oborona - Vsë kak u ljudej

Grazhdanskaya Oborona  - Moja oborona

Grazhdanskaya Oborona - Soldatami ne roždajutsja

Yanka - Rižskaja (1988)

Yanka - Na čërnyj denʹ (1988)

Yanka - Po tramvajnym relʹsam (1988)

Yanka - Gori-gori jasno

Yanka - Pečalʹ moja svetla

Yanka - Vyše nogi ot zemli

Yanka - Ja sterveneju (1988)

Yanka - Osobyj rezon (1988)

Yanka - Ot bolʹšogo uma (1988)

Grazhdanskaya Oborona - Rodina

Grazhdanskaya Oborona - Pro duračka

Grazhdanskaya Oborona - Dolgaja sčastlivaja žiznʹ

Instrukcija po vyživaniju - Afganskij sindrom

Instrukcija po vyživaniju - Nož v spinu

Instrukcija po vyživaniju - Ne ostalosʹ nikogo

Graždanskaya Oborona - Mërtvye

Graždanskaya Oborona - P. S. Sam (Ajja)

Graždanskaya Oborona - Gorod detstva

Egor i Opizdenevsie - Ofelija

Egor i Opizdenevsie - Pesenka o svjatosti, myše i kamyše

Chernyj Lukich - My idëm v tišine (bonus)

Chernyj Lukich - Edu na sever (bonus)



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