Unsere Reise durch die Platten Algeriens geht weiter! Nachdem wir uns letzte Wochen die Klänge des damals frisch unabhängigen Algeriens der 70er-angehört haben (hier geht es zum Beitrag), gehen wir heute weiter in die 80er-Jahren.
Von den tänzerischen Ursprüngen des Raï, bewegen wir uns immer mehr in den Synth-Raï hinein. In den 80er-Jahren verdrängten nämlich Synthesizer und Drum Machines nach und nach die Akkordeon und Trompetenklänge der 70er.
Cheb Hasni
Eine der wohl legendärsten Stimmen aus dem Raï der 80er-Jahren war ohne Zweifel Cheb Hasni. («Cheb» oder weiblich «Chaba» bedeutet übrigens soviel wie «jung» und ist ein beliebtes Anhängsel für den eigenen Künster*innennamen im Raï). Mit seinen melodramatischen Texten über Liebe und Herzschmerz wird er heute auch «Roi du Raï sentimental» genannt. Der König des sentimentalen Raï besang seine Themen aber nicht nur oberflächlich. In seinen Texten behandelte er immer wieder Themen wie vorehelicher Sex oder körperliche Anziehung, für viele im konservativ geprägten Algerien damals ein No-Go. Im Bürgerkrieg zwischen der Regierung und diverser islamistischer Gruppierungen in den 90er-Jahren gewannen seine Texte an Sprengkraft. Anders als viele andere Raï-Künstler*innen weigerte er sich, sein Land zu verlassen und blieb trotz strenger Zensur und wiederholtem Auftrittsverbot in Algerien. 1994 wurde Hasni im Alter von gerade einmal 26 Jahren auf offener Strasse ermordet. Die Umstände seiner Ermordung gelten immer noch als unklar, wobei viele extremistische Gruppierungen für verantwortlich halten, welche sich seiner Texten wegen an Hasni rächen wollten. Hasni gilt heute als einer der ganz grossen Legenden im Raï und als ein Symbol für Meinungsfreiheit und Widerstand.
Chaba Fadela
Mit Chaba Fadela hörten wir in die direkten Ursprünge des elektronischen Raï (aka. Synth Raï) hinein. Ihr 1978 erschienenes Stück «Ana Ma H’Lali Ennoum» (dt. Ich kann nicht schlafen) gilt heute als erstes Raï-Stück, in dem Synthesizer Verwendung fanden. Ende der 70er-Jahren traf sie auch ihren späteren Ehemann Cheb Sahraoui, mit dem sie bis zu ihrer Scheidung in den späten 90ern eng zusammenarbeitete. Ihr Album «N’Sel Fik» aus dem Jahr 1983 ist ein Meilenstein des Modernen Raï und wurde vom prestigeträchtigen Musikmagazin «The Wire» in seine Liste der «100 Records That Set the World on Fire (While No One Was Listening) aufgenommen. Der Erfolg ist sicherlich auch dem Produzenten Rachid Baba Ali Ahmed zu verdanken. Ähnlich wie Hasni ein Jahr vor ihm wurde auch Ali Ahmed vermutlich aus politischen Gründen ermordet. Der Titeltrack des Albums «N’sel Fik» (dt. du gehörst mir) ist ein hypnotisierendes Duett zwischen Chaba Fadela und ihrem damaligen Ehemann Cheb Sahraoui.
Raï im Exil
Mit der wirtschaftlichen und politischen Spannungen welche damals in Algerien herrschten und Anfang der 90er-Jahren in einem blutigen Bürgerkrieg endeten, entschieden sich viele Algerier*innen ihr Land zu verlassen. Beliebtestes Auswanderungsziel war dabei Frankreich, das Land, welches Algerien bis zu seiner Unabhängigkeit 1963 besetzte. Die Ausgewanderten nahmen so auch ihre Musik mit ins Exil und in den Grossstädten Frankreichs bildeten sich schon schnell florierende Raï Szenen. An Hochzeiten, Familienfesten und anderen Events war die Musik zu hören und zahlreiche Cafés stellten junge Raï Musiker*innen zur Unterhaltung der Kundschaft an. Das Genfer Label Bongo Joe Records sammelte für die Compilation «Maghreb K7 Club: Synth Raï, Chaoui & Staiif 1985-1997» vergessengegangene Klangperlen aus der Raï-Szene in Lyon. Eine Szene die heute quasi ausgestorben ist.
Playlist
Cheb Hasni – Mazal Souvenir andi
Chaba Habiba – Galbi Awal Baghi Ibadel
Chaba Zohra - Seknet Marseille
Chaba Zohra – Halala halala
Cheb Hasni - Baida Mon Amour
Cheb Hasni feat. Zahouania – El Baraka
Zahouania – Dali Waldi
Zahouania – Sahrana Iyali
Chaba Fadela - N’sel Fik
Chaba Fadela – Ha-Liya-ouana alach
Chaba Fadila – Ghdi Ila Bghitteghdi
Cheb Khalid – Kiya Ala Kiya
Nordine Staifi – Zine Ezzinet
Nordine Staifi – Goultili Bye Bye
Cheb Rabah El Maghnaoui – Amayna Alik Anti
Chabati le jeune – Mani Mani Maane
Zahouania – Ya hbibi ya ben ami
Cheb Hasni – Sahr lyali