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Verzerrte Träume - Sportsguitar und die Kunst der Imperfektion

Vor dreissig Jahren schafft die Luzerner Band Sportsguitar das Unmögliche. Mit ihren unerzwungenen lärmigen Gitarrenlandschaften landen sie einen Vertrag bei Sub Pop, dem bedeutendsten Indie Label der 90er-Jahre. Im Interview mit Radio 3FACH schaut das einzige beständige Mitglied der Band, Oliver Obert, mit einem Lächeln im Gesicht, jedoch auch kritisch auf seine Zeit als Rockstar zurück. Viele seiner Texte würde er heute nicht mehr schreiben. Trotzdem sieht er Sportsguitar als eine der innovativsten Schweizer Bands ihrer Zeit. Die ganze Sendung zu Sportsguitar kannst du hier nachhören:

Queen, Bon Jovi, Sportsguitar

Aufgewachsen im Schatten des Pilatus, findet Oli im frühen Teenageralter seinen Weg zur Rockmusik. Sein Sackgeld verprasst er bei Tony Laubers Schallplattenmarkt. Zusammen mit seinem Gschpänli Roland Saum spielt er auf der Bühne von diversen Jungwacht Veranstaltungen trommelfellzerschmetternde Ramones-Covers. Mitte der 80er-Jahre mieten die beiden Krienser eine Zelle im Sedel und studieren mit ihrer Band Hypocrisy in Spring das erste Mal Eigenkompositionen ein. Das ehemalige Luzerner Gefängnis wird zu einem «zweiten Zuhause» für Oli. Über dem Rotsee wird nicht nur geprobt, 1990 entsteht auch die erste Hypocrisy in Spring-Platte «Helen». Die Ideen hinter der LP seien sehr gross angelegt und kreativ gewesen und würden mit denen der späteren Sportsguitar Platten mithalten, nur habe ihnen damals das Know-How gefehlt, ihre Visionen sauber auszuführen, sagt Oli heute. Kurz darauf wird die Band auf Eis gelegt, Oli zieht nach Norwegen, um dort nördlich des Polarkreises Literatur zu studieren. Als Student fern von Zuhause geniesst er eine gewisse Narrenfreiheit, er schliesst Freundschaften mit Menschen wie dem wegweisenden Ambient Komponisten Geir Jenssen («Biosphere») und schreibt mit seiner Gitarre auf dem Schoss neue Songs. Diese nimmt er zurück in Luzern mit Roli im sedeleigenen «Schweinesound-Studio» auf. Während einem Sommer am Rotsee geprägt von «jeglichen Substanzen» entsteht die erste Sportsguitarplatte «Fade/Cliché». Das ganze Interview mit Oliver Obert findest du hier:

Ein Telefon aus Seattle

1993 popularisiert die New York Times das erste Mal den Begriff «Lo-Fi» als Bezeichnung für eine musikalische Bewegung, welche sich durch Merkmale auszeichnet, die in professionellen Musikproduktionen als Fehler angesehen würden. Bands wie «Pavement» oder «Sebadoh» bringen Aufnahmen auf den Markt welche bewusst fehlerhaft klingen sollen. Das Brummen der Verstärker im Hintergrund und übersteuerte Gitarrenklänge im Hintergrund werden zur Mode. Oliver Obert zählt Sportsguitar zu einem Teil dieser Bewegung, wenn nicht sogar zu den ersten Pionieren der Szene in der Schweiz und in Europa. 

«Lo-Fi», das sei nicht nur eine Ästhetik, sondern primär eine Herangehensweise und Philosophie. Statt sich von seinen limitierten Produktionsmöglichkeiten lähmen zu lassen, hätte man sein Schicksal in die eigenen Hände genommen und starke Ideen ungefiltert und unmittelbar aufs Tonband gebracht. Dieser «Do-It-Yourself-Aspekt» ermächtigt nicht nur, sondern vernetzt auch. Anfang der 90er-Jahre schreibt Oli einen Fanbrief an die amerikanische Künstlerin Azalia Snail, welche heute auch als "Queen of Lo-Fi" bezeichnet wird. Es entsteht bald eine Freundschaft zwischen den beiden und Oli organisiert ein erstes Schweizer Konzert für sie in Horw. Als Oli dann nach Verleger für die erste Sportsguitar-Platte sucht, schickt er Azalia Snail ein Exemplar in die USA. Begeistert von dem, was sie hört, reicht sie die CD herum, bis sie schliesslich auf dem Pult eines Managers von Sub Pop landet, dem Label, welches gerade mit Nirvana eine der erfolgreichsten Rockbands des 20. Jahrhunderts hervorgebracht hat. 

In ihrer WG im Obergeschoss der Luzerner Gassenküche erreicht Oli und Roli ein Telephon aus Seattle. Sub Pop sei interessiert an der Veröffentlichung einer Single. Die A-Side «Gong Gong» startet passenderweise mit einem Gitarrenriff, welches verdächtig nach Kurt Cobain klingt. Es dauert nicht lange und die Schweizer Medienlandschaft kämpft um Interviews mit den beiden. Doch Sportsguitar geht auf Abstand, verweigert Anfrage nach Anfrage, ein Verhalten, welches Oli als Dummheit bezeichnet. Man sei sich der Wichtigkeit des Kulturjournalismus nicht bewusst gewesen.

In den folgenden Jahren ist Sportsguitar mehrmals auf US-Tournee. Mit einem Mietauto klappern sie die grossen Städte ab und spielen mit drei bis vier anderen Bands meist in kleineren Clubs. Der Ertrag aus den Konzerten reicht meistens gerade fürs Benzin, geschlafen wird bei Fans oder frisch angefreundeten Bands, da auch für Hotelzimmer nicht viel Geld übrig gewesen sei. Ohne finanzielle Unterstützung der Pro Helvetia, wären diese Abenteuer wohl nicht möglich gewesen, sagt Oli heute. Sportsguitar wird zu dieser Zeit zu seinem Hauptberuf. Neben Songwriter und Sänger wird er auch zum Manager der Band und das mit grossem Erfolg. Über ein Tochterlabel von Sony veröffentlicht er auch in Japan Sportsguitar Platten und wird dort zu einer kleinen Sensation. Seine Aussage gegenüber der Zeitschrift Facts 1998, Sportsguitar sei neben Queen und Bon Jovi die Lieblingsband der konsumorientierten japanischen Kids, sei aber ganz klar ironisch gemeint gewesen, sagt er heute. 1996 tritt Sportsguitar im New Yorker Brownies Club auf. Die Musikindustrie boomt. Angefeuert durch fantastische „From the Basement to the Charts“-Geschichten à la Beck oder Liz Phair erhoffen sich Talent-Scouts von Indie- sowie Majorlabels, die nächste musikalische Geldmaschine zu entdecken. Im Backstage habe es nur so von Vertreter*innen aus dem Musikbusiness gewimmelt, erinnert sich Oli. Beim Zuhause von «Lo-Fi» Schwergewichten wie Pavement oder Yo La Tengo Matador Records unterzeichnen die beiden schliesslich einen Vertrag. Ihr zweites Album «Married Three Kids», welches Oli bis heute als stärkste Sportsguitar Platte ansieht, wird bei Matador neu veröffentlicht. Wie die Platte davor und die Platte danach, entsteht auch diese LP im Sedel.


Vom DIY-Wahnsinn zur stillen Erkentnis

Auf den Release des dritten Albums «Happy Already» durch Matador soll 1998 eine US-Tour folgen, die die Band einem grösseren Publikum bekannt machen sollte: ambitiöse Bills und grosse Venues. Die Tournee steht aber schon vor der Abreise der Band unter einem schlechten Stern. Bei einem Konzert im Luzerner Werkhof erleidet Oli einen leichten Hörsturz. Spätestens nach dem fünften Gig der Tour wird klar: Sein Gehör braucht eine Pause. Die Tour wird abgebrochen und die Band reist zurück in die Schweiz.

Mit dem Aufstieg von Filesharing-Websiten und der Ausbreitung des Internets beginnt der Absatz für physische Musikdatenträger wie Vinyl oder CDs Ende der 90er-Jahren drastisch zu sinken. Die Musikindustrie steckt in der Krise. Zahlreiche Bands und Musiker*innen stehen plötzlich ohne Vertrag da. Der Traum vom Plattenvertrag bei einem renommierten amerikanischen Label hört für Sportsguitar so auf, wie er angefangen hat: mit einem Telephon aus der USA nach Luzern. Aber auch innerhalb der Band kommt es zu Umbrüchen.

Oliver merkt schon früh, dass die typische Band-Demokratie seinen künstlerischen Vorstellungen widerspricht. Als Songwriter hat er seine Ideen und schon eine gute Vorstellung, wie diese weiterentwickelt werden sollen. Mit Roli findet er eine Person, die diese Ideen lesen, interpretieren und umsetzen kann. Ob gerade diese Dynamik zum Ende ihrer musiklalischen Zusammenarbeit geführt hat, will Oli heute nicht sagen. Klar ist nur: Ende der 90er steht Oli alleine da, Sportsguitar wird zum Soloprojekt.

Oli nimmt eine Auszeit. Er reist in die Kanaren um von dort aus eine Atlantiküberquerung zu machen. Er lernt zwei deutsche Segler*innen kennen, die eine dritte Person brauchen. Mit nicht viel mehr als ein wenig Segelerfahrung und einer kleinen Schreibmaschine im Gepäck, steigt er mit ihnen aufs Boot. Auf der Reise und anschliessend in der Karibik entstehen neue Songs, die Oli schliesslich aufnehmen will. In einer kostspieligen Verzweiflungstat mietet sich Oli in einem New Yorker Studio ein. Weder die Sessionmusiker*innen noch den Produzenten des Albums Kurt Ralske (Ultra Vivid Scene) kennt er vor den Aufnahmen. Während einigen Monaten entsteht Surface, die vierte Platte von Sportsguitar, wobei die Songs nur sehr wenig mit dem vorherigen Sound der Band zu tun haben. Die Lieder bewegen sich klar in Richtung Pop, hören sich sauber und gut produziert an. Oli nennt das Projekt heute ein Experiment, das Produkt von Menschen, die nie zuvor zusammen Musik gemacht haben. In Japan wird das Album noch vertrieben, der plötzliche Stilwandel wirkt sich aber nicht positiv auf die Verkaufszahlen aus. Sportsguitar spielt in der Schweiz Shows in halbleeren Bars. Oli zieht nach Basel um dort BWL zu studieren. Bei den Gebrüdern Ballmer (ehem. Jivaros Quartet) entsteht 2003 noch die letzte Sportsguitar LP Cicadas Chirping. Wieder vermehrt im Indie-Rock unterwegs, lässt aber auch diese Platte frühere Fans im Regen stehen. Die Tracks sind ruhig und reduziert. Rückblickend erzählt Oli, ihm sei es damals nicht gelungen sich neu zu definieren.

Auch zwanzig Jahre nach der letzten Platte, dreht sich Olis Leben heute noch um Musik. In seinem Laden «Setpember» im Luzerner Obergrundquartier verkauft er neben Naturweinen aus der weiteren Umgebung eine Auswahl von Schallplatten. Der Titel des zweiten Sportsguitar Album «Married, 3 Kids» wurde für den dreifachen Vater zu Realität. Musik, mache er zwar immer noch hie und da. Die Idee neue Songs zu veröffentlichen, ging ihm auch schon einige Male durch den Kopf. Inzwischen ist er sich aber ziemlich sicher, dass das aber nicht mehr passieren würde und das sei, so Oli, auch gut so!


Playlist

Sportsguitar - Very Weird

Sportsguitar - So Shy

Sportsguitar - Hero

Sportsguitar - Turtle

Sportsguitar - Letters

Sportsguitar - Terror

Sportsguitar - Down

Sportsguitar - Cathy

Sportsguitar - Serious

Sportsguitar - Gong Gong

Sportsguitar - Curtain

Sportsguitar - Mars

Sportsguitar - Chords

Sportsguitar - Never Waste

Sportsguitar - Get You Out

Sportsguitar - Wanna Walk

Sportsguitar - Doesn’t Matter

Sportsguitar - Romeo Goes

Sportsguitar - Happy Already

Sportsguitar - Youth

Sportsguitar - So Healthy

Sportsguitar - Beauty

Sportsguitar - Meteorite

Sportsguitar - Away

Sportsguitar - Can’t Be The Reason

Sportsguitar - Candy Copper

Sportsguitar - Do The Pan-Galactic Free Dance, Space Gipsy

Sportsguitar - Wine

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