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Oppositionspolitik in der Schweiz

In dieser Sendung erzählen wir dir, wie die Schweiz ein Zwei-Parteien-System überwand, wie Christoph Blocher einen Bundesratssitz eroberte und ob die SP eine Oppositionspartei ist. Ausserdem erklären wir dir, wie die ominöse Zauberformel funktioniert und wieso die FDP einen Bundesratssitz abgeben sollte. Reto Mitteregger, Politikwissenschaftler an der Universität Zürich hat uns im Interview einige Fragen beantwortet.

Die Schweiz hatte ein Zwei-Parteien-System

In der Schweiz hatten wir lange ein Zwei-Parteien-System, wie wir es aus den USA kennen. Über 40 Jahre lang sass die FDP nach der Staatsgründung alleine im Bundesrat. Um gegen diese Dominanz anzukämpfen, nutzte die Katholisch-Konservative Partei die Mittel der direkten Demokratie, welche das Schweizer System so einzigartig machen. Mithilfe von Referenden war die Vorgängerin der CVP (die heute Teil der Mitte ist) so erfolgreich, dass man sie in den Bundesrat eingebunden hat, um der Flut von Referenden entgegenzuwirken. Ähnliche Entwicklungen gab es bis zum zweiten Weltkrieg hin, als die BGB (die Vorgängerin der heutigen SVP) und die SP schliesslich ebenfalls teil des Bundesrates wurden.

Grafik: 3FACH

Wie sich der Bundesrat zusammensetzt

Als 1959 gleich vier Bundesräte gleichzeitig zurücktraten, hatte man die Chance die Regierungsbildung nachhaltig zu verändern. Geboren ist die sogenannte Zauberformel: Die drei grössten Parteien sollen je zwei Sitze zugeteilt bekommen, die nächst grösste noch einen.

Die Zauberformel:
2 – 2 – 2 – 1

Diese Zauberformel ist aber gar nicht so magisch – sie ist nichteinmal gesetzlich verankert. Es handelt sich schlicht um eine Abmachung zwischen den regierenden Parteien. Vorteile dieser «Superkoalition» sind die politische Stabilität und dass ein Grossteil der Wähler*innen in der Regierung abgebildet wird.

Diese Ordnung von zwei Sitzen für die FDP, CVP und SP, sowie einem für die SVP funktionierte für die Schweiz auch lange sehr gut. Nachdem die CVP und FDP gegen Ende des 20. Jahrhunderts allerdings stark an Wähleranteilen einbüssten und die SVP unter dem Einfluss von Christoph Blocher an Relevanz gewann, kam einer der grossen Nachteile dieses Systems zur Geltung. Die Stabilität führt nämlich dazu, dass das System auf politischen Wandel nicht schnell reagieren kann.

Operation Hannibal und wie Blocher einen Bundesratssitz eroberte

Nach den erfolgreichen Wahlergebnissen in 2003 verkündet SVP-Parteipräsident Ueli Maurer live im Fernsehen, dass die SVP einen zweiten Bundesratssitz einfordert, ansonsten gehe sie in die Opposition. Ein Moment, der die Schweizer Politiklandschaft bis heute geprägt hat. Die fast schon mythische «Operation Hannibal» gelingt und die CVP muss einen ihrer Sitze an Christoph Blocher abtreten. Die SVP gewinnt dadurch massiv an Einfluss, Blochers Amtzeit wird aber ein schnelles Ende haben. Ihm wird vorgeworfen gleichzeitig Regierungs- und Oppositionspolitiker zu sein und sich nicht an das Kollegialitätsprinzip zu halten. Mit seiner radikalen Rhetorik polarisiert er in dieser Zeit ausserdem stark.

Wie ein Geheimplan zur Gründung der BDP führte

Vier Jahre später musste auch Christoph Blocher sich zur Wiederwahl stellen. Die SP, CVP, Grünen und einige Mitglieder der FDP schliessen eine geheime Allianz gegen Christoph Blocher. Sie suchen eine unbekannte und gemässigte Person innerhalb der SVP und werden mit Evelyn Widmer-Schlumpf fündig. Der Coup gelang und die Bündner Politikerin zieht in den Bundesrat ein. Der Name dieses Geheimplans: Scipio, benannt nach dem römischen General der Hannibal besiegte.

Für die SVP ein Skandal. Sie drohte der gesamten Bündner Sektion den Ausschluss aus der Partei an, wenn Widmer-Schlumpf das Amt der Bundesrätin antritt. So kam es dann auch und aus der SVP Graubünden wurde die BDP (heute Teil der Mitte) gegründet. Auch der andere SVP-Bundesrat Samuel Schmid wechselte zur BDP und die SVP ging offiziell in Opposition. Nach den Rücktritten der beiden Ex-SVP Bundesratsmitgliedern erhielt diese ihre Sitze allerdings wieder zurück.

Filmreifer Skandal im Bundeshaus: Doku-Empfehlung «Die Abwahl von Christoph Blocher – Die Geheimpoeration im Bundeshaus»

In den letzten Jahren gab es zwei ähnliche Zwischenfälle auf der Gegenseite. Obwohl die SP für ihre Bundesratskandidatur jeweils andere Kandidat*innen vorschlug, erhielt der Zürcher Ständerat Daniel Jositsch von der Vereinigten Bundesversammlung zahlreiche Stimmen. Er weigerte sich zudem, eine potentielle Wahl öffentlich abzulehnen. Jositsch politisiert am rechten Flügel der SP und machte sich mit diesen Aktionen innerhalb seiner Partei ziemlich unbeliebt. Auch wenn es mit dem Bundesratssitz nicht geklappt hat, wurde er öppe letzte Woche immerhin zum Präsidenten der Reformplattform innerhalb der SP gewählt. Diese will die Sozialdemokratische Partei in einer liberale Richtung reformieren, blieb bislang aber relativ irrelevant. Das Beispiel von Daniel Jositsch zeigt, dass das Parlament im Bundesrat oftmals Politiker*innen bevorzugt, die nicht stramm auf der Linie ihrer Partei politisieren.

Warum die FDP weniger Bundesräte stellen sollte

«Wenn man die Sitze gerecht aufteilen und das arithmetisch begründen will, hat die FDP ganz klar einen Sitz zu viel.»

Die aus der CVP und BDP fusionierte Mitte Partei steht, was den Wähleranteil angeht, etwa gleichauf mit den Freisinnigen. Und auch wenn die Grünen bei den letzten Wahlen wieder etwas nachgelassen haben, hätten auch sie nach den Wahlen 2019 ein rechnerisches Anrecht auf einen Bundesratssitz gehabt. Die Grünliberalen stellen immerhin den aktuellen Bundeskanzler Viktor Rossi. Praktisch kann die Achse aus FDP und SVP somit jedoch jede Entscheidung des Bundesrates treffen, obwohl diese Mehrheit weder durch den Wähler-, noch den Nationalrats- oder Ständeratsanteil gerechtfertigt ist.

Grafik: 3FACH

Stell dir vor: Die SP tritt aus dem Bundesrat zurück

Ähnlich wie es die SVP in den 2000er-Jahren tat, forderte die JUSO letztes Jahr den Austritt von der SP aus dem Bundesrat. Das resultierte zum einen aus der Unzufriedenheit mit den eigenen Bundesratskandidat*innen, primär aber daraus, dass im Bundesrat kein dritter linker Sitz vergeben wurde. Nach der Meinung der JUSO hat die Linke aufgrund der bürgerlichen Mehrheit keine Entscheidungsmacht und ist nur im Bundesrat, um das bestehende System weiter zu bestärken. Die JUSO-Resolution wurde vor rund zwei Wochen am Parteitag der SP in Davos abgelehnt.

«Die SP ist auf den Goodwill der anderen Parteien angewiesen, dass sie Teil vom Bundesrat ist.»

Aber was würde passieren, wenn die SP nun tatsächli aus dem Bundesrat austreten würde?
Man könnte ein starkes Symbol setzen. Allerdings gäbe es durch eine solche Aktion kaum einen politischen Vorteil, weil die Partei auch innerhalb des Parlaments gegen die Regierung politisieren kann. Ausserdem hindert nichts die anderen Parteien daran wieder zwei Politiker*innen aus der SP zu wählen. Nur wäre es dann wohl eher ein Daniel Jositsch als ein David Roth. Die Macht der Bürgerlichen würde im Zweifelsfall nur steigen.

Wie Oppositionspolitik in der Schweiz funktioniert

Doch wie sieht eigentlich konkrete Oppositionspolitik in der Schweiz aus? Einerseits passiert diese durch direktdemokratische Mittel, also durch Initiativen und Referenden. Dabei beschaffen sich die Parteien ihre Mehrheiten nicht innerhalb des Parlaments sondern direkt beim Volk.

«Eine Grosse Anzahl von Referenden ist immer ein Ausdruck davon, dass eine Partei auf anderen Wegen ihre politischen Anliegen nicht durchsetzen kann.»

Andererseits findet die Oppositionspolitik auch im Parlament selber statt. Parteien können sich bei Gesetzgebungsverfahren gegen eine Mehrheit im Parlament oder die Regierung stellen. Dies ist beispielsweise der Fall wenn die SVP grundsätzlich alles in Frage stellt, das vom SP-Bundesrat Beat Jans ausgearbeitet wird. Umgekehrt ist auch die linke Fundamentalkritik an der Finanzpolitik von Karin Keller-Sutter ein Beispiel für Oppositionspolitik in der Schweiz.

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