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Die wichtigsten Abstimmungen der Schweizer Geschichte

Einführung

Die Schweiz gilt als einer der demokratischsten Staaten der Welt. Einer der Hauptgründe dafür ist unsere direkte Demokratie mit ihren Initiativen und Referenden. Volksabstimmungen sind aber keine Schweizer Eigenheit. Während die meisten Staaten in Europa in Ihrer Geschichte nur eine Handvoll Mal abgestimmt haben, sind es in der Schweiz jedoch ganze 677 Mal. Abgeschlagen auf Platz 2 ist Italien mit 72. Wir reden darüber welche Erfolgschancen eine Volksinitiative hat und über vier der wichtigsten Abstimmungen der Schweizer Geschichte:


1947: Die Schweiz sagt mit 80% ja zur AHV

Hans Ernis Plakat zur Abstimmung ganz ohne das Wort «AHV»

Schon im Landesstreik 1918 war eine der grossen Forderungen die Einführung einer Alters- und Hinterbliebenenversicherung. Um einer weitere Radikalisierung der Arbeiter*innen vorzubeugen und die Schweiz vor dem Sozialismus zu «bewahren», wurden anschliessend viele Zugeständnisse gemacht. Die Einführung der AHV musste aber noch einige Jahrzehnte warten. Die meisten Leute konnten sich bis dahin keine eigene Rente ansparen und wurden im Alter bestenfalls von der Familie, Hilfswerken oder der Kirche unterstützt. Nach der Weltwirtschaftskrise und dem zweiten Weltkrieg war die dann so gross, dass die Notwendigkeit einer solchen Versicherung unabdingbar wurde. Erstaunlich war trotzdem, dass die AHV 1947 bei einer Volksabstimmung schliesslich mit einer Mehrheit von 80% angenommen wurde – nur der kleine Halbkanton Obwalden war damals dagegen.

Auch wenn es immer wieder Debatten zur Finanzierung der AHV und ihrem Verhältnis zu den Pensionskassen und der dritten Säule gibt, sind sich doch fast alle einig, dass sie eine grosse Errungenschaft ist. Das Ja zur 13. AHV-Rente im letzten Jahr zeigt wie wichtig sie als solidarisches Mittel gegen die Altersanmut in der gesamten Bevölkerung bleibt. Sogar ein Grossteil der SVP-Basis stimmte dieser Vorlage – entgegen der Parteilinie – zu.


1971: Frauen dürfen endlich mitbestimmen

Bei den Abstimmungsplakaten fürs Frauenstimmrecht ging es hart zu und her. Von einer Karikatur der kurz zuvor ermordeten Rosa Luxemburg, einem verwahrlosten «Nuggi» und einem Teppichklopfer (Ein Symbol für die Hausarbeit und/oder eine konkrete Gewaltandrohung) war auf der Nein-Seite alles dabei. Die Befürworter hingegen warben mit einem Kuss.

Die Schweiz wurde als Staat von Männern für Männer geschaffen. So durften zuerst auch nur sie mitbestimmen. Augeschlossen wurden unter anderem Katholiken, Juden, Arme und Straftäter – die grösste ausgegrenzte Gruppe waren aber die Frauen. Während die meisten europäischen Staaten das Frauenstimmrecht bereits im frühen 20. Jahrhundert, spätestens nach dem zweiten Weltkrieg, erhielten, wurde in der Schweiz zuerst ganze 50x kantonal und 2x national darüber abgestimmt. Die Männer lehnten das jedoch immer wieder ab. Ironischerweise wurde den Frauen also gerade wegen der direkten Demokratie dieses Grundrecht so lange vorenthalten. Nachdem das Frauenstimm- und Wahlrecht in sechs Kantonen angenommen wurde, war es 1971 war es dann auch national so weit. Die Schweiz ist damit auf der ganzen Welt einer der Staaten, der das Frauenstimmrecht als letztes eingeführt hat. Nur in Appenzell Innerrhoden ging es noch einmal rund 20 Jahre bis ein Bundesgerichtsentscheid dafür sorgte, dass Frauen auch dort am demokratischen Prozess teilhaben dürfen.

Auch heute gibt es Versuche mehr Menschen für die Demokratie zuzulassen. Der Kanton Luzern lehnte gerade erst das Stimmrechtsalter 16 ab und die Demokratie-Initiative möchte eine einfachere Einbürgerung, damit mehr Leute am demokratischen Prozess teilhaben können.


1970: Die Schwarzenbachinitiative als Blueprint für Fremdenhass

Nein- und Ja-Plakat zur Überfremdungsinitative (Schwarzenbachinitiative)

Wer über die Schweizer Abstimmungen spricht, kommt nicht um den Erfolg der SVP der letzten 20 Jahren herum. Oft als menschenfeindlich, rassistisch und populistisch bezeichnet, prägte sie mit den Ausschaffungs-, Durchsetzungs- und Masseneinwanderungsinitiativen – wie auch mit dem Minarett- und Verhüllungsverbot, die Schweizer Politik mit und zeigte, wie erfolgreich man durch Volksabstimmungen sein kann. Ihre abgrenzende Haltung gegenüber Migrant*innen macht es erst möglich, dass die SVP zur grössten Schweizer Partei wurde.

Die Grundlage für diese Strategie konnte sich die SVP von der sogenannten «Schwarzenbachinitative» von 1970 abschauen. Der rechtsradikale James Schwarzenbach, früher in der nationalsozialistischen Nationalen Front, später bei den heutigen Schweizer Demokraten aktiv, lancierte eine Initiative, die forderte, dass in keinem Kanton mehr als 10% der Bevölkerung keinen Schweizer Pass haben durfte (Genf hätte als Ausnahme bis zu 25% Ausländeranteil haben dürfen). Damit hätten innert kürzester Zeit 350'000 Menschen die Schweiz verlassen müssen. Insbesondere die italienische Gastarbeiter, die massgeblich an der Entwicklung der Schweiz in den 50er und 60er Jahren beteiligt waren, wären davon betroffen gewesen. Obwohl die Initiative mit 54% Nein-Stimmen abgelehnt wurde, zeigt sich doch, dass fremdenfeindliche Anliegen mehrheitsfähig waren. Rund eine Million Schweizer stimmten schliesslich dafür – auch Linke und Gewerkschafter die Angst um ihre Arbeitsplätze hatten. Der Schweizer Autor Max Frisch schrieb einige Jahre zuvor: «Ein kleines Herrenvolk sieht sich in Gefahr: man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen.»


Abstimmungsplakate der SVP die um die Welt gingen.

Abstimmungsplakate der SVP, die um die Welt gingen.


1992: Haarscharf am EWR-Beitritt vorbei

Bunte Abstimmungsplakate zum EWR-Beitritt.


1992 befand sich die Schweizer Wirtschaft in der Krise – es gab eine Rezession und eine rekordhohe Arbeitslosigkeit herrschte. Die naheliegende Lösung: Dem EWR beitreten. Der Europäische Wirtschaftsraum ist eine Freihandleszone, der die EU und alle EFTA-Staaten (Liechtenstein, Norwegen und Island) mit Ausnahme der Schweiz beinhaltet. Anfangs 90er war eigentlich bereits so gut wie beschlossen, dass die Schweiz dem EWR und anschliessend der EG (heute EU) beitreten würde. Alle grossen Schweizer Parteien dieser Zeit, wie auch der Bundesrat waren dafür und nur ein Teil der SVP um Christoph Blocher waren dagegen. Durch seine Art Menschen mit Reden und persönlichen Gesprächen von einer Ablehnung zu überzeugen, wurde dieser spätestens hierdurch zu einem national bekannten Politiker. Gemeinsam mit der vorherig genannten Schwarzenbachinitiative legte die Abstimmung über den EWR-Beitritt den Grundstein für den Politikstil, den die SVP bis heute führt. Im Gegensatz zur Schwarzenbachinitiative war der Abstimmungskampf der SVP dieses mal jedoch erfolgreich. Mit der höchsten Stimmbeteiligung aller Zeiten wurde der EWR-Beitritt haarscharf abgelehnt. Den Unterschied machten schlussendlich nur 0.3 Prozentpunkte.

Das Nein zum EWR-Beitritt machte auch den Anfang der bilateralen Verträge, über die wir noch heute rege diskutieren. Die EU-Skepsis ist weiterhin ein wichtiger Bestandteil der SVP, ein Beitritt wird aber mittlerweile von den meisten Parteien nicht mehr unterstützt. Nur die SP und die Grünen ziehen eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union in Erwägung.

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