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Schweizer Kolonialgeschichte im Museum

Vielleicht trinkst du jeden morgen ein Glas Wasser, wenn nicht, hatte dein Getränk höchstwahrscheinlich seinen Ursprung in den Europäischen Kolonien. Kaffee, Orangensaft und Schoggimilch wären alle nicht in die Schweiz gekommen, wenn es keinen kolonialen Handel gegeben hätte. Oft wird die Schweizer Beteiligung im kolonialen System auf diesen Aspekt reduziert oder grundlegend unterschätzt. Eine Ausstellung im Landesmuseum in Zürich zeigt jetzt aber auf, was lange unter den Teppich gekehrt wurde. Die Schweiz war tief im Kolonialismus eingegliedert. 

Marina Amstad, eine der Kuratorinnen dieser Ausstellung, hat uns für die heutige Sendung einiges über unsere koloniale Vergangenheit und der Entstehung einer solchen Ausstellung erzählt.

Eine Kluft zwischen Forschung und Allgemeinheit

Die Ausstellung «kolonial. Globale Verflechtungen der Schweiz» findet gerade jetzt statt, weil das Thema gesellschaftlich an Relevanz gewinnt. Während die Forschung in den letzten 10-20 Jahren viele neue Erkenntnisse generierte, findet das Thema in der Allgemeinheit noch wenig statt und wird oft unterschätzt. Je mehr Menschen aus kolonialen Diasporen und mit Rassismuserfahrungen an Hochschulen forschen, desto stärker prägt das auch unseren Wissensstand. In der breiteren Gesellschaft wurde für das Thema beispielsweise durch die Black Lives Matter Bewegung Bewusstsein geschafft. Damit ein wahrheitsgetreues Bild der Schweizer Kolonialgeschichte in unser kollektives Bewusstsein gelangt, ist primär wichtig, dass das Thema in den Schulen landet. Die Lehrmittel werden aber allmählich angepasst und auch die Ausstellung im Landesmuseum ist für Schulklassen so beliebt, dass sehr schnell schon keine Führungen mehr angeboten werden konnten.

Schweizer Söldner im Dienst der Kolonialreiche

Wie im Museum aufgezeigt wird, sah die Schweizer Beteiligung am Kolonialismus sehr unterschiedlich aus. Schweizer*innen (aber fast ausschliesslich Männer) handelten beispielsweise mit tropischen Waren, Stoffen und versklavten Menschen, besassen Plantagen oder jagten exotische Tiere im Namen der Forschung. Andere wanderten in Siedlungskolonien aus oder missionierten für das Christentum auf der anderen Seite der Welt. 

«Kolonialismus ist auch immer die Geschichte von Gewalt.»

Eine besonders brutale Arbeit, für die die Schweiz weit bekannt war, war das Söldnerwesen. Zehntausende von Schweizer Soldaten und Offizieren befanden sich im Laufe der Zeit in den Kolonialheeren der Europäischen Grossmächte. Eine Geschichte, die in der Ausstellung, wie auch in unserer Sendung, beleuchtet wird, handelt von einem Massaker in Indonesien. Der Schweizer Offizier Hans Christoffel, der für die Ermordung von hunderten Menschen verantwortlich war, wurde für seine Verbrechen aber nicht bestraft. Im Gegenteil – die niederländische Königin belohnte und ehrte ihn sogar für seine Leistung.

Wer profitierte in der Schweiz wirklich?

Die Geschichte des Kolonialismus gehört auch immer zum Aufstieg der kapitalistischen Wirtschaftsweise. Die Schweizer*innen, die von den kolonialen Machenschaften am meisten profitierten, waren auch diejenigen, die bereits viel Geld hatten. Dieses investierten sie in globale Unternehmen, Handel oder Plantagen. 

«Wer genau profitiert hat, war auch immer eine Sache der Klasse.»

Arme Schweizer*innen beteiligten sich eher notgedrungen, wenn überhaupt. Viele Menschen wanderten in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Amerika aus oder verkauften wegen Armut ihre Arbeitskraft als Söldner. Frauen konnten durch eine Ausreise als Missionarin ein selbstbestimmteres Leben führen, als es in der Schweiz möglich gewesen wäre. Der Reichtum, den einige Wenige anhäufen konnten, floss allerdings auch wieder in Schweizer Städte, Infrastruktur und Arbeitsplätze, was später der Gesamtheit zugutekam.

Warum man es nicht allen recht machen kann

In den letzten Jahren ist die Debatte über rassistische Begriffe und der Gebrauch kolonial geprägter Sprache immer wieder aufgekocht. Auch das Museum muss sich damit beschäftigen. In historische Gegenstände wird nicht eingegriffen, in den dazugehörigen Texten wird die rassistische und verletzende Sprache allerdings nicht wiederholt – stattdessen ist beispielsweise Rede von «N–». Um zu erklären, wieso das getan wird, oder weshalb von «versklavten Menschen» anstelle von «Sklaven und Sklavinnen» die Rede ist, gibt es ein dazugehöriges Glossar. Während sich Linke Kritiker eher an einem mangelnden Bezug zum kapitalistischen Wirtschaftssystem stören (Marina Amstad sagt, dass man vielleicht am falschen Ort gestrichen hat – «Kuratieren ist eine Sache des Weglassens»), gibt es von rechter Seite eher Kritik an der verwendeten Sprache. «Dein einen geht es viel zu weit, den anderen zu wenig.» Ganz recht machen kann man es nicht allen. Weil die Glossare sehr nachgefragt sind und eine überwiegend positive Debatte fördern, kann man aber sagen, dass man die Mehrheit der Besucher abholt.

«Es wäre spannend, wenn man so eine Ausstellung in 5 oder 10 Jahren nochmal machen würden […], weil ich denke, dass wir als Gellschaft bereits viel weiter wären.»




Die Ausstellung «kolonial. Globale Verflechtungen der Schweiz» ist noch bis zum 19. Januar im Landesmuseum in Zürich zu sehen.




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