Letzte Woche beantragte die SVP diverse Motionen, um das Asylwesen massiv restriktiver zu machen. Darunter einige Forderungen, die grosse Wellen schlugen: Geschlossene Flüchtlingslager an den Schweizer Grenzen, kein Familiennachzug für vorläufig Aufgenommene und der Austritt aus der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Für diese Sendung beantwortete Stefan Schlegel, Jurist und Direktor der Schweizerischen Menschenrechtsinstitution, all unsere Fragen zum Thema Menschenrechte.
Familiennachzüge, Flüchtlingslager und EMRK-Austritt
Die Forderung, den Familiennachzug von vorläufig Aufgenommenen nicht mehr zu erlauben, wurde im Nationalrat angenommen. Nebst der rechtskonservativen SVP schlossen sich auch grosse Teile der bürgerlichen Mitte und fast die ganze FDP dieser Forderung an, was viele überraschte. Die Annahme dieser Motion führte zu einem Aufschrei in weiten Teilen der Bevölkerung: Ein Appell der Schweizer Sozialdemokraten wurde innerhalb von 24 Stunden über 120'000 mal unterschrieben wurde. Dieser trug sicherlich dazu bei, dass der von der Mitte dominierte Ständerat am nächsten Tag nicht ebenfalls zustimmte. Die Motion ging stattdessen vorerst zurück in die zuständige Kommission.
Kritisch wurde dieser Antrag unter anderem deshalb betrachtet, da insbesondere Familienmitglieder von Kriegsflüchtlingen betroffen wären. Diese «vorläufig aufgenommenen» Personen können trotz negativem Asylentscheid - zum Teil jahrelang - nicht in ihr Heimatland zurückkehren, da ihre körperliche und mentale Unversehrtheit sowie weitere Menschenrechte dort nicht gewährleistet sind. Auch die Forderung an sich ist weder mit der Bundesverfassung noch mit den Menschenrechten vereinbar – insbesondere das «Recht auf Familienleben» wird verletzt.
Eine weitere Forderung der SVP war die «Schaffung von Transitzonen zur Durchführung sämtlicher Asylverfahren» an den Schweizer Grenzen. Dabei handelt es sich faktisch um die Errichtung von Internierungslagern, in denen die Menschen solange sie auf ihren Asylentscheid warten eingesperrt wären. Auch wenn historische Vergleiche schwierig sind, stellen solche Lager durch ein grosses Machtgefälle und mangelnde Kontrolle ein grosses Risiko für Diskriminierung, sexuelle Ausbeutung und Gewalt dar.
Dass diese extremen Forderungen im Asylbereich zum gleichen Zeitpunkt wie die Forderung nach dem Austritt aus der Europäischen Menschenrechtskonvention gestellt werden, ist besorgniserregend aber nicht überraschend. Die SVP stand zwar geschlossen hinter den Forderungen, erhielt aber sonst keine Unterstützung, weshalb beide Anträge im Nationalrat scheiterten.
Es ist eine gefährliche Lebenslüge, Menschenrechte als für ein und alle mal gesichert anzuschauen.
Stefan Schlegel
Rechtsradikale Forderungen werden mehrheitsfähig
Solche Forderungen, welche die Menschenrechte missachten, sind - auch wenn sie abgelehnt oder nicht direkt umgesetzt werden - gefährlich. Wenn SVP-Nationalrat Andreas Glarner (der übrigens laut einem Gerichtsurteil offiziell als «Gaga-Rechtsextremist» bezeichnet werden darf) solche extremen Massnahmen im Asylwesen in den Raum stellt, verschiebt sich der Rahmen des Akzeptablen immer mehr nach rechts. Weniger radikale - aber immer noch problematische Forderungen - erscheinen dann als gemässigt und werden plötzlich mehrheitsfähig. Und auch die radikalen Forderungen sind nicht mehr inakzeptabel, sondern gesellschaftstauglich, wenn man sie nur oft genug wiederholt. Durch diese Verschiebung des sogenannten Overton-Fensters, wird eine sehr restriktive Asylpolitik inzwischen auch von der politischen Mitte mitgetragen. Es führt ausserdem dazu, dass es auf einmal legitim wird die Menschenrechte anzuzweifeln. Dies geschieht insbesondere im Bereich der Migration.
Neutralität als Argument gegen Menschenrechte
Die SVP hat eine Geschichte von kontroversen Asylforderungen. Ihre diversen Initiativen zum Thema «Überfremdung» orientierten sich immer wieder an der fremdenfeindlichen Schwarzenbach-Initiative von 1974 und wurden von Menschenrechtsorganisationen wiederholt kritisiert. Das bekannte rassistische «Schäfchenplakat» hat sogar einen eigenen Wikipedia-Artikel. Unter dem Deckmantel der Neutralität war die SVP ausserdem die einzige Schweizer Partei, die einen Beitritt zur UNO ablehnte – der Organisation, welche die Universelle Erklärung der Menschenrechte definiert hat. Die Schweiz trat den Vereinten Nationen als eine der letzten Staaten der Welt erst im Jahr 2002 nach einer knappen Volksabstimmung bei. Die heutigen Ausnahmen sind allesamt Sonderfälle, die aus historischen Gründen oder der mangelnden Anerkennung von anderen UN-Staaten keine vollständige Mitgliedschaft haben. Einige Beispiele dafür sind der Vatikan, Kosovo, Palästina oder Taiwan. Alle diese Staaten haben allerdings einen Sonderstatus oder beantragen momentan eine Mitgliedschaft. Ein Austritt aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ist also nicht themenfremd für die grösste Schweizer Partei.