Sphaíra

Eine klangliche Zukunft für Palästina

Sich eine Zukunft vorzustellen heisst Widerstand

Mit palästinensischen Klageliedern und futuristischen Klangvisionen lassen es Maya al Khaldi und Sarouna dem Publikum an den Stanser Musiktagen kalt den Rücken runterlaufen. Wir haben die beiden gefragt, wie sie sich in ihrer Musik mit einer Zukunft für Palästina beschäftigen können, wenn bereits die Gegenwart die Grenzen des Vorstellbaren übersteigt. 

Niederrickenbach, Nidwalden. Die Aprilsonne brennt heiss als ich aus der Gondel steige und zur Konzertlocation laufe. Ich treffe Maya al Khaldi und Sarouna in einem gemütlichen, lichtdurchfluteten Seitenzimmer des Pilgerhauses. Die beiden sind seit einem Monat auf Tour, begonnen haben sie im norwegischen Bergen. Statt Müdigkeit strahlen die beiden eine tiefe Energie und Ruhe aus. Die Tour hätte ihr gezeigt, wie viele Menschen man überhaupt erreichen könne mit ihrer Musik, meint Sarouna, die das Album produziert hat. Sonst leben die beiden Palästinenserinnen in Ostjerusalem. Hier auf diesem Berg irgendwo in der Schweiz aufzutreten fühle sich wie ein Traum an, meint Sarouna. 2018 hat sie das Label Tawleef gegründet mit dem Wunsch einen Raum für palästinensische FINTA-Künstlerinnen zu schaffen. Aufgrund der aktuellen Situation existiert dieser Raum momentan eher in Form einer virtuellen Community, doch der Plan sei es, bald wieder Workshops durchzuführen und kostenlos Recording-Equipment zur Verfügung zu stellen. 

Unter den Schichten von Vergangenheit und Zukunft liegt die Hoffnung

Für ihr Debütalbum Other World arbeitete Maya al Khaldi mit Aufnahmen aus dem Audio-Archiv für traditionelle Musik im Popular Art Center in Ramallah. Dabei handelt es sich um Aufnahmen traditioneller Instrumente, Lieder und alter Geschichten. Auch field recordings aus dem gegenwärtigen Palästina flossen in die komplexen Klangschichten ein. Es sind futuristische Kompositionen, die teilweise nach Zufallsprinzip entstanden sind. Mal hört man die Stimme von Maya al-Khaldis Grossmutter, dann wird diese wieder abgelöst durch herzschlagartige Bässe, Wummern und Stimmengewirr. Das Album sei für sie eine Auseinandersetzung mit einer klanglichen Zukunft für Palästina. Sich angesichts der aktuellen Situation in Palästina eine Zukunft vorzustellen sei für sie eine Form von Widerstand, erklärt Maya. Für das brauche es aber Hoffnung. Und die finden die beiden in der Solidarität innerhalb ihrer Community aber auch in der positiven Resonanz auf ihre Tour. 


"It’s like being in love but having your heart broken the entire time."

Seit dem 7. Oktober 2023 haben Maya al Khaldi und Sarouna ihr Konzertprogramm um drei Lieder ergänzt. Es handelt sich um alte palästinensische Klagelieder, die traditionellerweise von Frauen an Beerdigungen gesungen werden. Der Schmerz und die Verzweiflung steht Maya al Khaldi ins Gesicht geschrieben, als sie in der Gnadenkapelle klagt um die Toten und um das Leid der Lebenden.

"And those who now lay in their graves are my

loved ones - they once filled my heart and soul

with their beautiful presence. I miss them so."

(übersetzt aus dem Arabischen)

Ich bin nicht die Einzige im Raum, der die Tränen in die Augen steigen. Die Blicke der Zuschauer:innen kleben an Maya al Khaldis Mimik. Ihre Stimme wird immer lauter, der Gesang immer mehr zum Heulen. Sie holt tief Atem nachdem der letzte Ton verklungen ist und verbeugt sich. Ihre Beziehung zu ihrer Heimat in Ostjerusalem beschreiben die beiden Künstlerinnen als ambivalent. Es sei so als wäre man verliebt und gleichzeitig würde einem die ganze Zeit das Herz gebrochen. Man wachse auf mit der Überzeugung, die Stadt gehöre einem, nur um immer mehr zu merken, dass sie einem eigentlich weggenommen würde.

Maya al-Khaldi singt ein palästinensisches Klagelied. Credits: Dragan Tasic

Die Tour geht weiter. Heute treten Maya al Khaldi und Sarouna im Rahmen der Voreröffnung der 60. Biennale in Venedig bei einer Ausstellung namens When Solidarity Is Not a Metaphor auf. Auf die Frage, was für sie Solidarität heisse, verweisen beide auf die Verantwortung, sich zu informieren. Empathie allein reiche nicht. Jeder Mensche solle seine Verantwortung wahrnehmen, mit diesem Wissen etwas zu verändern.  

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Die besten der besten Tracks landen hier!! <3


Playlist:

Maya al Khaldi – Other World
'Al Daw
Other World
Kan
Zaghitu
By Numbers
Sami's Lullaby

Weitere Episoden

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