Mutterbilder sind uralt und sind geprägt von Fremdbestimmung. Lächelnd, stark, mit bedingungsloser Care: so strahlen uns Mutterfiguren aus Gemälden, Instagramvideos und Werbungen an. Selbst wenn wir durch persönliche Fotoalben blättern, sind Muttergesichter meist lächelnd oder lachend, kümmernd oder kraftvoll abgebildet.
Das Bild, das wir von Müttern haben, wird also stark von Medien gefüttert. Medien, die essenzielle Aspekte, wie das emotionale Befinden von Müttern, stark wegklammern und oft von patriarchalen Machtstrukturen geprägt sind. Die Künstlerin Marina Woodtli entfüttert dieses Bildnarrativ in ihrer künstlerischen Praxis.
Marina Woodtli arbeitet mit analoger Fotografie. Seit ihrer zweiten Schwangerschaft sammelt sie Eindrücke aus ihrem Leben. Es seien schätzungsweise 1500 Aufnahmen entstanden in dieser Zeit, erzählt sie, die Kamera sei ihr Tagebuch. Dementsprechend entstehen die Bilder unglaublich nahe an Marina Woodtlis Leben, schöpfen förmlich daraus. Dieses extrem persönliche, autobiografische Schaffen erlebt die Künstlerin als sehr Tür-öffnend. Und es entsteht eine erste Differenzierung vom Mutterbild, das durch Mainstreammedien sehr präsent ist: statt stark lächelnd auf eine Frauenfigur reduziert, wird Mutterschaft als emotional aufgeladener, fragiler und komplexer Kosmos wahrgenommen.
In diesen Kosmos zoomt Marina Woodtlis hinein und hinaus. Das Muttersein ist in ihren Fotografien nicht immer gleich präsent, denn schliesslich ist es nicht alles, was eine Person ausmacht. Es wird in Relation zur Umwelt gesetzt, in der die Künstlerin sich bewegt. Manchmal wird das Muttersein nur durch einen Schatten oder eine Schmiererei im Fenster sichtbar, die von einem Kind sein könnte.
Auf der anderen Seite gibt es Marina Woodtlis Selbstporträts. Egal ob die Künstlerin darauf wegblickt, oder direkt in die Kamera blickt: Sie wirkt exponiert. Eines der Selbstporträts entstand drei Tage nach der Geburt ihres Kindes. Schutzlos, nicht in Pose geworfen, nimmt Silvia Henke, Kulturwissenschaftlerin, diese Selbstporträts wahr. Dies ist ein wichtiger Aspekt der Arbeit: nicht die Pose suchen, sondern die Emotion. Um einmalige Momente festzuhalten, die fernab von Gazes und Erwartungshaltungen geschehen.
Marina Woodtli hat ein starkes Bewusstsein dafür, dass, egal wie sehr sie aus ihrem eigenen Leben schöpft, die Betrachtenden ihrer Bilder immer auf die eigenen Erwartungshaltungen, Erinnerungen und Beziehungen zu Mutterschaft zurückgeworfen werden.
Deshalb ist es ihr wichtig, eine sorgfältige Auswahl der Fotographien zu treffen. Es sei eine Gratwanderung, herauszufinden, in welchen Bildern vielschichtiges, aufgeladenes Potential stecke. Dieses Herausfinden geschieht deshalb immer im Austausch mit anderen Augen, Händen und Köpfen, und über eine lange Zeit hinweg.
In den Fotografien von Marina Woodtli steckt ein persönliches Lernfeld, ein gesellschaftlicher Spiegel und ein feinfühliger Utopiegedanke: wie könnte ein Blick aufs Muttersein aussehen, der nicht von patriarchalen Machtstrukturen geprägt ist?
Anschauen kannst du die Ausstellung "vier" von Marina Woodtli im B74 Raum für Kunst an der Baselstrasse in Luzern. Am Samstag, 08. März, um 17:00 ist dort Vernissage mit einer Rede der Kulturwissenschaftlerin Silvia Henke. Dort kannst du den feministischen Kampftag ausklingen lassen, und wirst dich hoffentlich in anregende Gespräche vertiefen. Falls es dir dann nicht mehr reicht, ist die Ausstellung noch bis am 29. März zu sehen.