The Black Rider

Luzerner Theater

The Black Rider

The Casting of the Magic Bullets
Schauspielmusical von William S. Burroughs, Tom Waits und Robert Wilson
In verschiedenen Sprachen
Premiere: 17. Oktober 2014

Der Schreiber Wilhelm hat ein Auge auf die Försterstochter Käthchen geworfen, ihr Vater jedoch will seinen Wald nur einem versierten Jäger vererben, der einen schwierigen Probeschuss besteht. Von einem mysteriösen Gesellen erhält Wilhelm silberne Kugeln, die ihn zum treffsicheren Schützen machen. Geblendet von den Verlockungen der Gefahr, wirft Wilhelm sein Leben in die Waagschale. Doch wer seine Seele verkauft, hat immer einen Preis zu zahlen. Am Tag des Probeschusses zeigt Stelzfuss sein wahres Gesicht: Sechs Geschosse gehorchen Wilhelm, das siebte lenkt der Teufel selbst ins Ziel.

Nachdem in den vergangenen Spielzeiten bereits «Woyzeck» und «Alice» das Luzerner Publikum begeisterten, komplettiert das Inszenierungsteam um den Regisseur Andreas Herrmann mit «The Black Rider» die Musical-Trilogie des Theaterkünstlers Robert Wilson und des Songwriters Tom Waits. 1990 am Hamburger Thalia Theater uraufgeführt, eroberte die eigenwillige Adaption der «Freischütz»-Sage die deutschsprachigen Bühnen im Sturm.

Der amerikanische Schriftsteller William S. Burroughs, Star der Beat-Generation, der in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte, scheute zeitlebens keinen Blick in den Abgrund. Jahrelang drogenabhängig, stirbt er friedlich im Alter von 83 Jahren. Er lässt sich ein Päckchen Heroin und eine geladene Waffe in den Sarg legen. Tom Waits liefert den betörenden Soundtrack zu diesem theatralischen Höllenritt, seine melancholischen Melodien ziehen uns in den Bann der magischen Kugeln: «Come along with the Black Rider / We’ll have a gay old time!»

GESPRÄCH

Regisseur Andreas Herrmann im Gespräch mit der Dramaturgin Carolin Losch

 

Losch: Die «Freischütz»-Sage, die die Inspiration zu THE BLACK RIDER lieferte, spielt in einem Forsthaus und im Wald. Es ist die Rede von Freikugeln, also Kugeln, die im Bunde mit dem Teufel gegossen werden und unfehlbar ihr Ziel erreichen.

Herrmann: Die Jägerwelt in dieser Geschichte funktioniert wie eine Folie, auf der sich die Ereignisse abspielen. Es ist eine Welt, in der starke Regeln gelten und viele Geschichten über das «richtige Leben» kursieren. Wir haben das Geschehen in einen abstrakten Raum verlegt und jegliche Form von realistischer Abbildung dieser Welt vermieden. Was mich interessiert, ist das – von allen – verinnerlichte Katastrophenszenario; es herrscht eine apokalyptische, zutiefst beunruhigende Atmosphäre, in die alle Personen verwoben sind. Die Geschichte um den Probeschuss, den jeder männliche Erbe zu absolvieren hat, ist in der Welt. Alle verhalten sich dazu, sei es in Ablehnung oder Akzeptanz, und geraten so in einen Strudel, verstricken sich und werden schuldig.

 

Losch: Burroughs hat einmal gesagt, dass unser Universum ein Universum des Krieges sei. Unser Universum basiere auf Krieg und Spielen.

Herrmann: Ja, es geht ums Gewinnen und Verlieren. Jeder verfolgt seinen persönlichen Traum von einem gelungenen Leben: Reichtum, Liebe, Glück und Karriere. Und jeder glaubt, sein Schicksal einigermassen lenken zu können. Aber in Wahrheit sind wir eben doch oft abhängig von irrationalen Faktoren. Wir glauben, wir seien Realisten, aber wir sind getrieben von Ideologien, von Kategorien der Weltbetrachtung, von geschichtlichen und politischen Fetischen. Konfrontiert mit einer Fülle von Informationen, fühlen wir uns genötigt, Position zu beziehen – aber aufgrund welcher Kategorien? Abhängig von Kommentaren und gefangen in Mythologien, tappen wir sehr oft im Dunkeln. Hoffnung und das Setzen auf eine Glückssträhne oder böse Ahnungen und das Gefühl, Pech zu haben, sind die Ingredienzen einer ganz persönlichen Mythologie – und nicht selten auch einer politischen.

 

Losch: Eine wichtige Rolle spielt die Musik von Tom Waits.

Herrmann: Sie beschreibt ein Lebensgefühl. Die Menschen sind unberechenbaren Kräften ausgesetzt. Sie lassen sich verwirren und verrennen sich, wie der junge Schreiber Wilhelm, der den Pakt mit dem Teufel schliesst. Oder sie verschliessen die Augen vor dem drohenden Unheil, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Die Figuren stehen auf schwankendem Boden, sie sind dem Grundwiderspruch zwischen pragmatischer Weltbetrachtung und Verstrickung in das Irrationale ausgesetzt.

PRESSESTIMMEN

Bei Andreas Herrmann gehen die Figuren als nichts ahnendes Menschengewusel durch eine dunkle, nur ab und zu hell aufgeblendete Szenerie. Doch wie sie das tun, ist immer wieder von einer tänzerischen Leichtigkeit, und Clemens Maria Riegler findet als Wilhelm einen wunderbar naiven Ton für seinen Untergang. Bloss sein armer Onkel scheint das Unheil zu ahnen, die Angst sitzt ihm bei Jörg Dathe in den Knochen und drückt als verzweifelte Verschmitztheit aus der Visage. Und wie recht er hat: Die Verführung ist eine viel smartere Macht als die Angst. Charmant spielt der Teufel, die alte Diva, mit der Manneskraft der Möchtegernschützen: Daniela Britt zeigt einen gewinnenden Stelzfuss, und die Combo im Orchestergraben spielt die Arrangements von Daniel Perrin so leicht und beschwingt, dass man gar nicht anders kann, als ihnen zu verfallen. Der Abgrund schillert in glanzvollem Licht in dieser Nacht, und die Menschlein fallen federleicht hinein.

Tages-Anzeiger, 20. Oktober 2014

 

Vor allem aber gelingt Herrmann die «perfekte Balance von schräger Komik und emotional berührenden Momenten», wie eine Besucherin wohl stellvertretend für das begeistert applaudierende, auffällig junge Premierenpublikum meinte. Möglich macht es die vorzügliche darstellerische Leistung des zahlreich versammelten Schauspielensembles, aus dem Jörg Dathes komische Kabinettstücke herausragen. (…) Die von Daniel Perrin geleitete Johnny-Four-Fingers-Band schafft ihrerseits die perfekte Balance von kreischend hochgeputschten Klanggewittern mit einem melancholisch schlurfenden, von Bläsern und Akkordeon morbid eingefärbten Balladenton. Und wo sie punkig-hart loslegt, fährt Hans-Caspar Gattiker als Jägerbursche - ein hinreissender gesanglicher Höhepunkt - auch stimmlich aus der Haut. Selbst wo der Gesang ungehobelter wirkt, als er wohl gewollt ist, passt er zur kaputten Szenerie mit einer Braut, die nach dem letzten, dem Teufel vorbehaltenen Freikugelschuss tot wie ein Sack hinfällt. Nicht zuletzt musikalisch ist dieser «Black Rider» dank Tom Waits' grossartiger Songs ein Muss.

Neue Luzerner Zeitung, 19. Oktober 2014

 

Beherrscht wird die Geschichte vom Teufel, oder in diesem Fall von der Teufelin, von Stelzfuss, einer herausragenden Daniela Britt. Verrucht, lasziv, verführerisch, mit samtig-rauchiger Stimme, teuflisch eben, zieht sie Wilhelm den Schreiber in ihren Bann. Dieser will oder muss sich sein geliebtes Käthchen „er-schiessen“, will es doch die Tradition, dass der Schwiegersohn ein tüchtiger Jäger ist und erfolgreich den Probeschuss absolviert. Nun muss er beweisen, dass er, der Schreiber aus der Stadt, diese Kunst auch beherrscht. Einen kurzen Moment wird man bei seinen ersten Schiessversuchen an die Schiessbuden erinnert, welche zu dieser Jahreszeit ein paar hundert Meter weiter stehen. Wilhelm, alias Clemens Maria Riegel, lässt sich auf den Deal mit den Teufelskugeln von Stelzfuss ein. Dem Schauspieler wird in dieser Rolle alles abgefordert. Und wenn er am Ende, nachdem er sein Käthchen tatsächlich erschossen hat, seinen Kummer herausschreit und dem Wahnsinn verfällt, ist das so glaubhaft gespielt, dass man den verstörten jungen Mann tröstend in die Arme schliessen möchte. Auch die übrigen Darsteller überzeugen, Jörg Dathe begeistert mit seinen komikhaften Auftritten und Hans-Caspar Gattiker als Jägerbursche Robert beschert dem Publikum einen musikalischen Hühnerhaut-Moment im zweiten Akt. Nicht alle Stimmen sind allerdings den Waits Melodien vollends gewachsen, aber das tut dem Stück keinen grossen Abbruch. Die Musiker des «Johnny Four Fingers and the Pipefixer Glass Orchestra» machen das wett und werden Tom Waits melancholisch-düsteren, schmachtend-schmelzenden Melodien mehr als gerecht. Leichte Kost ist dieser Black Rider nicht, die Bilder, die auf die Bühne gezaubert werden, haben etwas Zerstörerisches, Verstörendes, müssen erstmal verdaut werden und bleiben über Stunden irgendwie dunkel-düster präsent.

Innerschweiz Online, 20. Oktober 2014

 

Wir werden empfangen von Stelzfuss, der Teufelin. Sie wartet schon, als wir reinkommen, dann werden wir begrüsst von Tom Waits’ Klängen und merken bald: Stelzfuss lenkt alles, sie leitet sogar das Orchester und sie (ver-)führt uns. Glaubt mir, meine Begleitung hätte ihr die Seele noch hinterhergeworfen. Sie spielt «Wer hat Angst vor dem schwarzen Mann» mit dem Ensemble, und in drei Sprachen werden wir mitten in das Stück über den Pakt mit dem Teufel geworfen. (…) Es kommt, wies kommen muss: Die Geschichte beginnt hochzukochen, denn Wilhelm hat seine Munition wie im Wahn verschossen, ist abhängig geworden, wahrlich süchtig und ihm geht der Stoff, beziehungsweise die Munition aus. Diese Gefühle der Panik, der Zweifel und Ängste werden ausgekostet und wunderbar inszeniert. Im Lichtgewitter windet sich Wilhelm, als wäre er auf Entzug, die Wucht der Emotionen drückt einen tief in die Sessel. Stelzfuss erscheint. Neue Kugeln kosten aber, jetzt wird der Preis, der ein jeder zu bezahlen hat, eingefordert. Beim grossen Probeschiessen um die Braut und die Erbschaft verspricht die verführerische Teufelin: Sechs der Kugeln gehören dir, doch die letzte lenke ich.

Kulturteil, 19. Oktober 2014

 

Die Inszenierung des Schauspiel-Chefs Andreas Herrmann im Luzerner Theater nimmt diese Atmosphäre auf. Er schafft schöne Bilder, das schlichte Bühnenbild hilft dabei. Mit einem Kreis an einer Wand wird die Bühne je nachdem zu einer Zielscheibe, zu einem Visier oder zu einem Auge. Es bleibt die ganze Aufführung hindurch düster, es gibt Schattenbilder und Spotlichter. Immer bleibt das Gefühl, dass die Protagonisten auf der dunklen Seite des Lebens gelandet sind. Die Band «Johnny Four Fingers and The Pipefixer Glass Orchestra» rund um den Musiker Daniel Perrin spielen hervorragend, genau und mitreissend. Häufig hat man das Gefühl, man sitze in einem Varieté. Aber auch der Jazz kommt nicht zu kurz. Der Stelzfuss, also der Teufel, der die Fäden zieht und das Unheil bringt, wird in Luzern von einer Frau gespielt. Die Schauspielerin Daniela Britt schlüpft in diese Rolle und spielt und singt sie überzeugend mit verführerischem aber auch bösem Charme.

Radio SRF1, 18. Oktober 2014