Stooszyt

isoliert leben – ein Selbstexperiment

06.01.2020

So lange wie möglich in einem Raum ohne Telefon, Uhr, Tageslicht und Unterhaltung sein. Das habe ich mir für den Abschluss vom Jahr 2019 vorgenommen. In der Hoffnung danach ein sozialerer Mensch zu sein.

Schon seit meinem 12. Lebensjahr besitze ich ein Telefon mit Internetzugang. Digital Native sozusagen. Nach neun Jahren kann ich behaupten, dass die anfängliche Euphorie verschwunden ist. Technologie wurde für mich in diesen neun Jahren zur Selbstverständlichkeit. Sie ist Teil meines sozialen Lebens, meiner Arbeit, sie ist Teil meiner Persönlichkeit und hat in grossem Masse dazu beigetragen, dass ich heute der Mensch bin, der ich bin.

Doch Technologie hat mich, und auch andere meiner Generation, auf gewisse Arten schlecht erzogen. Vielen meines Alters fällt es schwer sich zu konzentrieren. Die jahrelange Dauerunterhaltung hat dazu geführt, dass wir nur schwer die Finger vom Telefon lassen können. Immer wieder schauen wir aufs Telefon, obwohl wir gerade nichts nachzuschauen oder zu versenden haben. Aus purer Gewohnheit und Langeweile. Die deutsche App Menthal registriert Handyaktivitäten für Forschungszwecke. Im Schnitt haben die 60'000 Nutzer*innen von Menthal alle 18 Minuten ihre Tätigkeit unterbrochen, um etwas am Telefon zu erledigen.

Mir fällt es schwer, mir selbst einzugestehen, dass auch ich zu denen gehöre, die ihr Telefon aus Langeweile benutzen. Was ist denn überhaupt so schlimm an Langeweile, fragte ich mich. Es sollte doch kein Problem sein einige Tage ohne Telefon, gar ohne Uhr, Tageslicht oder sonstige Unterhaltung auszuhalten. Oder?

Naja, anscheinend doch nicht so einfach. Ich hatte damit gerechnet, dass ich es mindestens drei Tage in der Isolation aushalten kann. Das Ergebnis: eher ernüchternd. Schlussendlich war es nicht nur die Langeweile, die mich dazu brachte, das Experiment abzubrechen, sondern auch die Einsamkeit. Jede dritte Person in der Schweiz fühlt sich einsam oder hat wenig soziale Unterstützung, so Zahlen des Bundes. Darunter vor allem Seniorinnen und Migrantinnen.

Obwohl wir dank sozialen Medien jederzeit mit Freund*innen Kontakt aufnehmen können, bleibt die Einsamkeit präsent. Der Grund ist, dass Menschen sich aus sozialen Kontakten mehr als nur Text wünschen. Die Mimik, Gestik und die Stimme lassen Gespräche erfüllender wirken als Chats. Das besagt auch eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2013, bei der 29 Frauen jeweils fünf Minuten mit einer guten Freundin ein Gespräch geführt haben. Einmal persönlich, dann über Videochat, dann am Telefon und schlussendlich per SMS. Dabei wurde das face-to-face als die befriedigendste Methode angegeben. Und das habe ich auch während meinem Experiment gemerkt.

Unter all den Gesichtspunkten bin ich schon fast froh, dass ich es nicht tagelang in der Isolation ausgehalten habe. Schlussendlich beweist das ja, dass ich «normal» bin und mich nach sozialen Kontakten und Unterhaltung sehne. Wenn also auch du ab und zu aus Langeweile dein Telefon zückst, ist das halb so wild. So lange man die physische Nähe zu anderen zu schätzen weiss. Und das ist bei mir nach diesem Experiment definitiv der Fall.

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