24.02.2025
von
Ennio De Caro
Das zweite Album des Trios MASS OF THE FERMENTING DREGS, geführt von Natsuko Miyamoto, kicks absolute ass. Dessen Geschichte verdient es, von Anfang bis Ende aufgearbeitet zu werden.
Kono Speed no Saki e wurde am 21. Januar 2009 via Avocado Records veröffentlicht.
Als Natsuko Miyamoto 2002 in der japanischen Grossstadt Kobe eine Band gründete, war es ein No-Brainer, diese MASS OF THE FERMENTING DREGS (oder auf japanisch gekürzt: Masudore) zu nennen. Nein, der Name hat nicht wirklich einen Sinn. Es ist eine Aneinanderreihung von Wörtern, die sich Natsuko schon einige Jahre zuvor ausgedacht hat. Es klingt einfach cool, und der Name ist eh weniger wichtig als die Musik selbst. Mit ins Boot holte sie Drummerin Reiko Gotoh und Gitarristin Chiemi Ishimoto. Schnell wurden einige Demos aufgenommen und auf MySpace hochgeladen. Ein Powerhouse von drei Frauen in ihren anfangs Zwanzigern, die einfach nur aus sich ausbrechen wollten. Erfolg war nie ein Hintergedanke dieser Band. Das Trio hat nie so wirklich einer Szene angehört, was es für sie schwer machte, an Gigs zu kommen.
Einige Jahre nach der Gründung luden sie die Demo Kirametal auf MySpace hoch, welches die Ohren von EMI Japan spitzte. Der Band wurde ein Slot im grössten japanischen Festival – dem Fuji Rock Festival, für den “Road to Tarbox Audition” Wettbewerb – gebucht: Sollten sie einen guten Auftritt abliefern, werden sie einen Deal von EMI Japan bekommen und gleich ins Studio für ihr erstes Album geschickt. Und, klar, wenn sie diese entscheidende Prüfung nicht bestanden hätten, würde dieser Blog nicht existieren. Diese aufregende Zeit hielte jedoch nicht lange und die Band würde bald anfangen zu bröckeln.
Ihr selbstbetiteltes Debut Album wurde via EMI Japan’s Unterlabel Avocado Records zu mässiger Resonanz veröffentlicht. Es folgte eine umfangreiche, anstrengende Tour. Eine Pause wurde der Band nicht gegönnt. Im Gegenteil: Obwohl die Band das ganze Jahr lang für eine Tour queer durch Japan gebucht waren, hat ihr Label sie verpflichtet zeitgleich ein neues Album aufzunehmen. Die Stimmung zwischen den Bandmitglieder kippte ebenfalls und die Drummerin Reiko Gotoh verliess Grund dessen die Band. Isao Yoshino, welcher bis heute dabei ist, hat ihren Platz eingenommen. Veränderungen im Lineup sind immer kompliziert, und es dauerte eine Weile für Natsuko Miyamoto um mit dem neuen Drummer und dessen anderen Ansatz im Songwriting klarzukommen. Es war eine schwere Zeit für Natsuko, MASS OF THE FERMENTING DREGS war schlussendlich ihre Vision. Diese Vision, die sie schon zur Schulzeit hatte, fing trotz des Erfolges vor ihren Augen an zu verschwinden.
Also war es Zeit das zweite Album anzugehen. Die neuen Songs wurden teilweise schon live auf Tour ausprobiert. Natsuko Miyamoto war nicht wirklich Fan vom Ergebnis. So selbstkritisch wie sie sein mag, wenn man alte Auftritte schaut, ist ihr Punkt nicht allzu schwer zu verstehen. Ihre Songideen so auf die Bühnen zu bringen, wie sie das wollte, war nicht leicht. Dieses Selbstunsichere, der Druck des Labels und der grösseren Bühnen trugen wohl alle dazu bei, dass die Band sich nicht mit Freude an diese Zeit zurückerinnert.
Als es an der Zeit war, das Album aufzunehmen, kam in der Band erstmals die Idee auf, einen Produzenten zur Unterstützung zu holen. Die Entscheidung fiel auf Nakao Kentaro: Der Bassist einer der grössten Rockbands Japans, NUMBER GIRL, die den Weg für Bands wie MASS OF THE FERMENTING DREGS ebneten. Getrackt wurde im Studio von EMI Japan. Wie es der Produzent Nakao Kentaro durch seine eigene Band nicht anders kannte, hat Natsuko’s Truppe das Album live aufgenommen. Aufgrund der unendlichen Liste an Konzerten, die die Band in den Jahren zuvor spielte, waren sie automatisch gut eingespielt. Der Fokus bei den Liveaufnahmen lag jedoch auf den Drums, alles andere könnte man nachher noch bearbeiten oder neuaufnehmen. Kentaro war sehr hands-on: Er hatte viele Ideen für das Schlagzeug, Perkussion und dessen Sounds, am meisten Input hatte er bei Natsuko’s Bassparts. Die verschiedenen Interessen zwischen Band, Produzent und Label führte zu stressigen und elenden Aufnahmesessions.
Trotz der Dysfunktionalität innerhalb des Studios, ist dessen Ergebnis das vielleicht beste Album von MASS OF THE FERMENTING DREGS. World Is Yours klingt eigen, zerfressen von Wut und Desillusionierungen. Japans Perfektionismus führt manchmal zu menschlichen Tragödien, welches jedoch deren Kunst um so ausdrucksvoller macht. Das ist bereits beim ersten Song Kono Speed no Saki e zu spüren, der dich mit Vollgas in das Album katapultiert. Natsuko’s markante, feminine und kraftvolle Stimme kommt im zweiten Song Aoi, Koi, Daidaiiro No Hi am meisten zur Geltung, obwohl die Messlatte sehr hoch ist. Ihre eigene Art Bass etwas wie Gitarre zu spielen, rückt direkt zu Beginn des Songs in den Mittelpunkt. Und gerade wenn das Lied von der Dynamik her aufs Minimum runtergeschraubt wird, explodiert er nochmal so richtig.
“Aoi, koi, daidaiiro no hi (Deep orange and blue days..
Itai, kimi no yoko, sotto I know you’re secretly here beside me,
Iro, nakushite mo Even as these colours fade.
Kogarete, daitara What I yearn for is destroyed
Kowarete shimatta yo” Once I embrace it.)
Im Song Kakuiumono hört man den Spin, der Isao Yoshino der Band gegeben hat, denn ein hektischer Reggaeton Beat ist das letzte, was man von den Drums erwartet. Begleitet wird er von Chiemi Ishimoto’s kreischenden Gitarren, die in einem Noiserock Projekt nicht fehl am Platz wären. She is inside, He is outside ist wohl der Song, an dem Nakao Kentaro als Produzent am meisten mitgewerkelt hat. Obwohl es das punkigste Lied des Albums ist, sind drin ganz viele kleine Quirks versteckt: Handclaps, Perkussion und der heftige Punch der Instrumente. Die Energie des Songs ist so intensiv, dass man im kleinen Break vor dem letzten Drop das Gefühl hat, mit der Band im selben Raum zu stehen.
Natsuko Miyamoto live in 2008. Quelle: Mass of the Fermenting Dregs - End Roll (エンドロール) [post-hardcore/ shoegaze] (2008) : r/listentothis
Fast genau ein Jahr nach ihrem Debut Album veröffentlichten MASS OF THE FERMENTING DREGS ihr zweites Album World is Yours. Das Artwork, sowie alle anderen der Band, wurde von Ai Konzai gezeichnet. Blutig, wirr und dennoch wunderschön: Es verkörpert den Vibe des Albums perfekt. Fun Fact: Heute ist sie mit Naoya Ogura verheiratet, welcher seit 2010 fester Gitarrist in der Band ist.
Zum Zeitpunkt des Release verachtet Natsuko Miyamoto dieses Werk der Band. Mittlerweile ist sie anderer Meinung und die Songs sind fester Bestandteil der Konzerte. Ein grosser Erfolg blieb der Band bei Veröffentlichung aus: Wie das so ist bei japanischen Bands, war das Album sogar bis im Jahre 2021 nicht mal auf Streaming Services verfügbar. Seit dem so ist, ist der Bekanntheitsgrad der Band enorm gestiegen. Zwar nicht in Japan, aber international wurden sie einer der grössten japanischen Indie-Rock Bands. Sie spielten ausverkaufte Tourneen, zwei in Nordamerika und eine in Europa.
Zum Schluss eine kleine persönliche Anekdote: Als die Band die Europa-Tournee angekündigt haben, war ich aus dem Häuschen. Sie kamen zwar nicht in die Schweiz, aber aus verschiedensten Gründen war es für mich eh einfacher sie zu dem Zeitpunkt in Glasgow zu sehen. Sie spielten in King Tut’s Wah Wah Hut, ein winziger Club, wessen kulturelle Wichtigkeit ich nicht genug anprangern kann. Es war eines der abgefahrensten, spirituellsten und speziellsten Konzerte, an denen ich jemals war. Das Publikum war das coolste, das ich je an einem Konzert gesehen habe. Sie spielten fast alle Songs von World Is Yours und obwohl die Texte auf Japanisch sind, konnten alle mitsingen. Wenn ich so in den Erinnerungen schwelge, werde ich irgendwie emotional. MASS OF THE FERMENTING DREGS live zu sehen war einer meiner schönsten Erlebnisse, und ganz bestimmt eines der besten Konzerte, an denen ich jemals war.
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