Samschtig Jatz

Aktivismus & politisches Bewusstsein treffen auf Jazz

Vor der Sendung kam das Konzert

In der Sommerpause wurde ich (Moderator*In Danis) von Freund*Innen an ein Konzert an den Langnau Jazz Nights eingeladen, nämlich Donny McCaslin und seine momentane Band. Diese Truppe, bestehend aus McCaslin, Tim Lefebvre, Jason Lindner und Zach Danziger, ist der engagierten Jazzhörer*In mehr als bekannt. Nun war ich also an diesem Konzert und was ohnehin schon eine, aus meiner Sicht, ziemliche Blamage war (komplett uninspiriertes Effekt-Spiel und unaufregende Soli), wurde durch einen spezifischen Moment zu einer richtigen Peinlichkeit. Ursprung dessen war die Ankündigung einer Komposition Caslins welche sie jetzt spielen würden, Fly My Space Ship, ein Titel welcher bereits ohne Musik nach dem typischen „Old-White-Guys-Playing-Jazz-«Wir chillen einfach zu flächigen Sounds»“ klingt. Wieso aber dieses Stück dann in mir unendlich viele Fragezeichen ausgelöst hat, lag aber nicht an diesem kleinen Cringefaktor. Der tatsächliche Auslöser war die unerwünschte Überraschung, das McCaslin und Crew sich jetzt für die nächsten 6-8 Minuten an gutem alten White-Man-Reggae/Dub ohne jegliche kulturelle Awareness oder Relevanz ergötzen werden.

Um zu verstehen, dass die Präsentation eines solchen Sounds, vor einem so weissen Publikum wie an den Langnau Jazz Nights, problematisch ist, sollte es keinen linken jazz-studierenden Radio-Moderator brauchen, sondern einfach ein bisschen kulturelle Awareness. Naja. Das war auf jeden Fall ziemlich mies, vor allem weil ich am gleichen Tag gerade das perfekte Gegenbeispiel zu dieser unnötigen Jazz-Dub Fusion gehört habe mit dem Song Ceasefire von Joe Armon Jones und Rankin Joe, ein Release welcher den Wunsch der Genre-Kombination mit einer echten politischen Message kombiniert.


Auf jeden Fall hat mich der ganze Abend zum Nachdenken gebracht. Seit wann ist Jazz so ein unpolitischer Haufen Unterhaltungsmusik für Menschen, die kulturelle Aneignung als nichts mehr sehen als linke Hetze.

Nicht für deine „Lounge-Jazz-Playlist“

In der Woche nach diesem Konzert an den Jazz Nights, kam das neue Meshell Ndegeocello Album raus.

No More Water: The Gospel of James Baldwin

Wenn das, ein Jazz-Album mit so klarem Fundament in politischer und aktivistischer Geschichte, nicht nach einer vielsprechenden Abwechslung klingt, dann weiss ich auch nicht mehr weiter. Die Vorfreude viel mir umso leichter, da die Vorab-Singles des Albums (bspw. Love, Travel und absolut amazing Raise The Roof) echt fantastisch waren. Das in Kombination mit dem Fakt, dass das Album von Meshell Ndegeocello kommt, eine Musikerin welche sich im Verlauf der letzten 30 Jahre mit ihrer legendären Karriere als absolut unersetzlich bewiesen hat, kann nur gutes heissen also:

Let‘s get into it!!!!

Jazz, Gospel, Soul, Funk und Spoken Word, alles mit Message

Auf No More Water: The Gospel of Jame Baldwin, weben Ndegeocello und Co. ein Netz aus schwarz-amerikanischer musikalischer Kultur, ein Netz mit beindruckender Dichte, Komplexität und Aussagekraft. Wo man bei Tracks wie Travel oder On The Mountain bei einer Mischung aus hart groovendem Funk und Soul ist, dauert es nur ein paar Minuten und es läuft Raise The Roof, ein Spoken-Word Stück, welches mit grösster Direktion die angehenden rassistischen System-Geschehnisse in den USA hervorhebt. Wie alle Spoken-Word Elemente auf dem Album, wird Raise The Roof von Staceyann Chin vorgetragen, eine schwarze und queere Dichterin chinesisch-jamaicanischer und afro-jamaikanischer Herkunft. Ihre Stimme gibt diesem Album eine Kraft, welcher man selten begegnet. Unbequemste Themen werden unausweichlich präsentiert und stellen sicher, dass es sich hier nicht um Hintergrundmusik handelt. Chinns Dichtkunst existiert natürlich auch ausserhalb dieses Albums, wie zum Beispiel hier bei ihrer Performance ihres Gedichts, All Opression Is Connected.


Wie auch dem Albumtitel problemlos zu entheben ist, handelt es sich beim Album auch um ein Tribut an den grossartigen Aktivisten, Schriftsteller und Sprecher James Baldwin, welcher in der Geschichte der USA als krassestes Beispiel für einen Menschen mit Zukunftsvisionen funktioniert. Baldwin, geboren in den 20er Jahren in Harlem, New York, war vol Anfang an auf Grund seiner angeborenen Eigenschaften in den Vorurteilsgeladenen vereinigten Staaten benachteiligt. Nämlich war Baldwin ein schwarzer, homosexueller Mann. Diese Realitäten und Erlebnisse, formten eine Lebenserfahrung und Weltsicht in Baldwin, die seine Zukunft und sein Werk bis zum Ende seines Lebens beeinflusst haben. Er war eine der wichtigsten Stimmen in der Civil-Rights-Movement und war als Schriftsteller seinem Umfeld unglaublich weit voraus was die Thematisierung von Homosexualität, urbanem Afroamerikanischen Lebens und den folgend nötigen systematischen Wechsel, anging.


Er war eine wirklich grossartige Person, dessen Worte noch heute unglaubliche Relevanz und Wichtigkeit tragen, weswegen es auch mehr als verständlich ist, dass Ndegeocello als queere schwarze Amerikanerin ihm ein Tribut widmet.

No More Water ist ein unglaublich starkes Album. Alleinstehend ist die Wucht dieser Platte bereits nicht abzustreiten, doch die Wirkung, welche das Album in der heutigen Jazz-Landschaft hat, ist eine ganz andere Geschichte. Im Verlauf der Zeit hat sich Jazz nämlich immer mehr zu einer sportlichen, unterhaltenden Kunstform verwandelt, die ihre kulturelle Relevanz immer mehr verloren hat. Ist der Aufruf nun, dass jedes Jazz-Album politisch sein muss? Natürlich nicht. Doch vielleicht wäre es ein guter Wechsel, wenn Jazzmusiker*Innen ihre Plattformen nutzen würden, um mehr zu zeigen als nur ein krasses Solo. Vielleicht könnte man auch durch frequenteres Sensibilisieren eine künftige Donny McCaslin-Dub-Blamage verhindern.



Playlist

Anna Butterss - Shorn
Joe Armon Jones, Rankin Joe - Ceasefire
Meshell Ndegeocello - No More Water: The Gospel of James Baldwin (ganzes Album)

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