Sphaíra

"Ein Abschied von dem Beirut, das ich gekannt habe"

Ein Album, das ganz viel Melancholie mit sich bringt: Wishah, übersetzt 'Schleier', befasst sich mit der Beziehung zwischen der arabischen Sprache, Elektronik und Elektroakustik. Das neuste Werk der libanesischen Künstlerin Youmna Saba befasst sich sowohl musikalisch als auch inhaltlich damit, wie Wechselbeziehungen funktionieren.

Youmna Saba, geboren in Beirut, hat sich während und für das Album Wishah in Paris niedergelassen. Mit dem Album begonnen hat sie im Jahr 2021 und die Tracks die wir heute hören, hat sie schon vor zwei Jahren in Live-Sets performt. Im Interview erzählt die Künstlerin uns, dass jetzt der richtige Moment gekommen wäre, Wishah mit der Welt zu teilen.

Eine zyklische Beziehung zwischen Akustik und Elektronik

Durch verschiedene Künstler*innen-Residenzen hat Saba in den letzten Jahren eine musikalische Sprache entwickelt, die ihr neustes Album stark prägt. Im Rahmen ihres Forschungsprojekts Taïma hat sie die Wechselbeziehungen zwischen den klanglichen Eigenschaften der arabischen Sprache, Elektronik und Elektroakustik untersucht. Aus diesem Prozess heraus entstand eine elektronische Erweiterung des akustischen Saiteninstrumentes Oud.

Die Oud spielte auch schon in früheren Veröffentlichungen von Saba eine wichtige Rolle, doch in Wishah bekommt das gitarrenähnliche Holzinstrument noch mal einen ganz neuen Touch. Durch die elektronische Erweiterung der Oud hören wir nun jegliche Nebengeräusche, die beim Spielen entstehen – und zwar verstärkt, vibrierend und hallend. Das Schleifen der Finger auf den Saiten, welches in einem klassischen Musikkontext möglichst leise geschehen sollte, wird hier extra hervorgehoben und als stimmiges Element genutzt.

«Ich komme von einem akustischen Hintergrund und wollte deshalb die akustische Oud als Basis benutzen, um dann über Klänge nachzudenken, die ich digital kreieren will. Die damit entstandenen digitalen Sounds wiederum dienten mir als Inspiration für mein akustisches Spielen und Singen. Somit enstand eine zyklische Beziehung zwischen Akustik und Elektronik» *


Wie gesellschaftliche Ereignisse Kunst beeinflussen

Der musikalische Wandel geht einher mit persönlichen und gesellschaftlichen Veränderungen, die Youmna Saba in der Entstehungszeit des Albums beeinflusst haben. Die Künstlerin ist überzeugt, dass Kunst nie abgetrennt von Geschehnissen um einen herum entstehen und betrachtet werden kann.

«Wir alle sind Zeug*innen von lebensverändernden Ereignissen, die sich in den letzten Jahren in der Welt abgespielt haben und leider immernoch geschehen. Diese Ereignisse lassen uns unsere Weltansichten und wo wir uns selber positionieren hinterfragen. Ich glaube, dass unsere Ausdrucksformen – egal ob künstlerisch oder nicht – immer davon geprägt werden.» *


Zu diesen lebensverändernden Ereignissen gehört in Beirut die tragische Explosion im August 2020. Etwas mehr als drei Jahre ist es nun her, dass im Hafen von Beirut 2750 Tonnen Ammoniumnitrat explodiert sind. Dabei sind über 200 Menschen gestorben, Tausende verletzt und über 300.000 obdachlos geworden. Zusammen mit der Covid-Krise, wirtschaftlicher Instabilität und politischen Unruhen hatte diese Katastrophe verheerende Folgen für die Bevölkerung.

«Ich habe Beirut im Schlüsslelmoment der aktuellen Geschichte der Stadt verlassen, sprich, in den letzten drei Jahren. Die Stadt, die mein Zuhause ist, hat in dieser Zeit so viele Veränderungen erlebt, dass ich sie nicht mehr wiedererkenne wenn ich zurückkehre. Wishah ist ein Abschied von dem Beirut, das ich gekannt habe.» *

Emotionen verstehen alle - egal auf welche Sprache

Die melancholischen Gefühle von Abschied, Schmerz und Verlust sind in Wishah auf eine sehr rohe Art und Weise spürbar. Selbst wenn man als Hörer*in kein Arabisch versteht, scheint die emotionale Sprache unmissverständlich. Für Youmna Saba steht die wörtliche Bedeutung ihres Gesangs an zweiter Stelle. Viel mehr konzentriert sie sich auf den akustischen Charakter von Sprache - wie ein Wort resoniert, in welchem Akzent es ausgesprochen wird, und welchen Rhythmus Sprache haben kann.

«Egal ob du Arabisch verstehst oder nicht, die Gefühle, die beim Hören der Musik übermittelt werden, werden ähnlich sein. Ich bin immer neugierig zu hören, wie meine Musik wahrgenommen wird und welche Emotionen bei Hörer*innen ankommen, auch bei denjenigen, die Arabisch nicht verstehen.» *


Wishah ist ein tiefgründiges Werk sowohl auf konzeptioneller wie auch auf emotionaler Ebene – Musik, bei der es sich lohnt, sich voll und ganz darauf einzulassen.

* Alle Zitate stammen aus dem Interview, das wir mit Youmna Saba geführt haben und sind aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.


Playlist: 

Akaleel 

Ba’oud 

Al khayal 

Ahad 

Tareeq 

40’2 

Leyl 

Madd W Jazr 

Weitere Episoden

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