Festivalsaison

3FACH am Full of Lava 2024

Das Musikfestival der Dampfzentrale Bern präsentiert Popmusik aus den Nischen und von den experimentellen Rändern. Pop, der nicht einfach Wohlklang oder Hintergrundmusik ist, sondern aneckt, sich neu erfindet, politisch wird und zuweilen provoziert. Auf der Bühne stehen Künstler*innen, die mit Traditionen brechen und neue Wege beschreiten. Hier geht's zu allen Interviews, die 3FACH vor Ort geführt hat. 


"In this sense, I carry the portal of music with me but in the end we are one" - otay:onii im Interview

otay:onii | Bild: 3FACH

Ganz gemütlich lauft sie auf uns zu, mit ihrem warmen, noch dampfenden Getränk in der Hand. Das Konzert bereits hinter sich, nun kann sie den Rest des Abends geniessen. otay:onii eröffnete den zweiten Festivaltag des Full of Lava mit einer geballten Ladung an Energie, viel Noise und Feuer. Die chinesische Künstlerin produziert Musik, die dich in Trance versetzt und dir vielleicht sogar etwas Angst machen könnte. Auf der Bühne präsentiert sie sich als Monster - mit Maske und einem gestrickten Cape - das so dämonisch wie engelhaft gleichzeitig wirkt. Sie zieht dich mit, doch du willst ihr nicht zu nahe kommen. Aber irgendwie auch schon...

otay:onii sieht sich selbst nicht als Musikerin oder Performerin - sie sieht sich viel mehr als Portal, aus dem die Musik strömt. Sie und das Publikum werden eins.

"The red cape, it looks like a fishnet, and I'm a pisces. So it feels like I'm constantly trapped in this body and in this appereance."

Monster sind ein grosses Thema in ihrer Performance. Am Full of Lava hat sie selbst sich in Schale geworfen, eine Maske angezogen, die eine Art Rüssel dran hat, einen engen Bodysuit und darüber ein roter Pulli, der aussieht, als fehle die Hälfte davon. Sie nennt das Rote einen Cape, das einem Fischnetz ähnlich sieht und symbolisiert, dass sie sich in ihrem Körper und ihrem Aussehen gefangen fühlt. 

Für das Erstellen dieses Monsters hat sie sich ChatGPT zur Hilfe gezogen, das ihr beim Designen der Zeichnung half. Um das Monster zum Leben zu bringen, hat sie gif.com genutzt. Wie simpel eigentlich sie etwas so aussagekräftiges anfertigen konnte. 

“A constant pull and push from reality, which is not always very happy, sometimes quite dark and helpless.” 

Im Gespräch mit otay:onii haben wir darüber geschwätzt, wie sie in ihrer Performance von einem engelhaften in einen dämonischen Zustand übergeht. 


Monstertrucks und Ohnmacht – more eaze (---__--____) im Interview

Wie über eine Band sprechen, die immer wieder die Grenzen der Definierbarkeit sprengt? Am Anfang war der Bandname einfach nur eine Spielerei, nach und nach wurde er aber zum Statement, erzählt Mari Maurice aka more eaze. Ein «fuck you» gegen äußere Kräfte und Kategorisierung. In Bern hat sich nun aber die liebevolle Bezeichnung «Strichliband» durchgesetzt.

more eaze | Bild: 3FACH

Es ist nicht ihr erstes Mal in der Dampfzentrale. Schon vor Jahren spielten sie hier, erinnert sich more eaze, und so kommt es auch, dass Bandgspänli Seth Graham die offiziellen T-Shirts für das diesjährige Full of Lava designte. Auch die Bilder, welche während der Live-Show auf die Bühne projiziert werden, stammen von ihm: romantisierte Aufnahmen aus dem amerikanischen Midwest; Tankstellen, Rennveranstaltungen, biertrinkende Menschen in Tanktops. Eine Verarbeitung der eigenen Kindheit in der christlich-konservativen Arbeiterschicht der USA. Von Abgrenzung zu diesen Bildern kann kaum die Rede sein – Ohnmacht trifft es eher. Während der ganzen Show liegt Seth starr auf dem Boden, sodass sich manche*r Besucher*in fragte: «Esch das es Mannequin?»

Das neueste Album «Night On Fire» ist geprägt von abrupten Wechseln zwischen emotional aufgeladenen, zarten Gesangs- und Violinpassagen und rohen Noise-Einlagen. Zu hören sind auch die verzweifelten Schreie von «recovery girl», aka Galen Tipton. Diese Gegensätze kommen zum einen aus dem Willen, das Publikum zu fordern, vielleicht sogar zu schockieren, sind aber auch das Resultat zweier auf den ersten Blick unvereinbarer musikalischer Visionen. Während Seth Graham mit seinem Label Orange Milk bahnbrechende, lärmige Projekte aus allen Facetten der digitalen Musik fördert, ist more eaze üblicherweise etwas gemächlicher unterwegs, mit atmosphärischem Ambient inspiriert vom Americana ihrer Heimat Texas. Wie die beiden trotzdem einen künstlerischen Konsens gefunden haben, erfährst du im vollen Interview:


“I have become everything I despise” – Claire Rousay im Interview

Und plötzlich war sie da – die verletzliche Stimme von Claire Rousay. Für viele Fans war es eine Überraschung, als die amerikanische Künstlerin mit ihrem Album sentiment diesen Frühling zum ersten Mal Songs veröffentlichte. Vorher kannte man Claire Rousay vor allem durch träumerische Ambient-Produktionen, geprägt von ausschweifenden Field Recordings und einer körnigen Lo-Fi-Ästhetik.

Claire Rousay | Bild: 3FACH

Nun mache sie Emo-Ambient, sagt Claire Rousay mit einem Schmunzeln im Gesicht. Ohne ihr früheres Schaffen zu vernachlässigen, widmet sie sich den rohen Emotionen von 2000er-Emo-Bands, der Musik, die sie als Teenager geprägt hat. Damit macht sie sich natürlich auch verletzlich, trotzdem genieße sie das Gefühl, dass das Publikum zum ersten Mal zu ihrer Musik mitsingen kann.

Für die Bühnenshow nimmt sie gleich ihr ganzes Schlafzimmer mit auf Tournee: klappbare Wände, beklebt mit Postern, ein kuschliges Bett und ein Schreibtisch mit Laptop und Instrumenten. Für die weitere Ausschmückung helfen ihr die Venues.


Wie bitte? - Martha Skye Murphy im Interview

„Um“, wiederholt Martha Skye Murphy immer wieder in ihr Mikrofon. Im Publikum entsteht der Eindruck, die Musikerin habe ihre Stimme vor lauter Nervosität verloren. Schließlich überlagern sich die „Ums“ zu einer Klangcollage, der sich die sechs anderen Musiker*innen auf der Bühne anschließen.

Martha Skye Murphy | Bild: 3FACH

Sie spiele gerne mit den Erwartungen des Publikums und sehe ihre Performances wie ein Theaterstück, sagt uns Martha Skye Murphy im Interview. Nur wenige Minuten nach der Show treffen wir sie in einem dunklen Backstage-Kämmerchen der Dampfzentrale. Die Euphorie ist ihr ins Gesicht geschrieben. 

Die Klänge ihres Debütalbums «Um» sind zwar introspektiv, intim und ruhig – jedoch wird auf der Bühne eine völlig neue Facette dieser Sounds hörbar. Die vermeintlich perfekte Kopfhörermusik wird zu einem überwältigenden, wuchtigen Live-Erlebnis umkonzipiert. Entstanden seien die Songs aber mit äußerst bescheidenen Mitteln. Tüftelnd finden Field Recordings, aber auch Handyaufnahmen von Gitarrenpassagen ihren Platz in den collagierten Produktionen von Martha Skye Murphy.


Elvin Brandhi im Interview

Eine dunkle, abstrakte Welt mit mystischen, schweren Beats hat Evin Brandi auf die Bühne des Full of Lava gebracht. In ihren Songs arbeitet sie mit vielen Loops und Fieldrecordings. Dabei kann es auch schnell unheimlich werden, voller Schreie und Kreischen. Für sie hat das Gruselige etwas Magisches, denn wenn man sich gruselt, werden gleich mehr Sinne aktiviert. Sie kommuniziert in ihrer Musik wie in einer eigenen Sprache, wie sie im Interview mit uns sagt:

"I use music to describe things for which I have no words."

Ihre Musik ist experimentell, aber das war nicht immer das Ziel. Sie wollte Hits schreiben, aber mit der Zeit hat sich der Begriff "Hit" für sie verändert, ihre Faszination liegt darin, Loops und Tracks zu produzieren, die süchtig machen. 

Wo Elvin Brandhi die Inspiration für ihre Tracks findet, erfährst du hier:

Elvin Brandhi | Bild: 3FACH


Gazelle Twin

Wie ein Geist schlich die Musik von Gazelle Twin über das Full of Lava. Mit Kalten Füssen ist Gazelle Twin bereits zum zweiten Mal beim Full of Lava Festival auf der Bühne. Die Begeisterung für das Unbekannte, Träume und Kindheitserinnerungen sind die Inspirationsquellen ihrer Musik. Mit ihrem Album "Black Dog", das sie gerade auf Tour spielt, erzählt sie den Zuhörer*innen die Geschichte eines Geisterhauses. Gezelle Twin will Musik machen, die die Menschen in Albträume hineinzieht, aber auch die Befreiung und Lösung davon zeigt. Alte Kassettenaufnahmen ihrer Schwester verleihen dem Album "Black Dog" eine nostalgische Sphäre. Emotionen sind ein großer Teil ihrer Musik, aber sie versucht, auf der Bühne diese zu isolieren. Anfangs hatte sie Schwierigkeiten, mit Emotionen umzugehen.

  "I was worried and it took a long time before I could do the first show, I didn't enjoy it."

Es hat eine Weile gedauert, bis sie ihren Umgang damit gefunden hat. Nach einem Konzert muss sie das erst das passierte verarbeiten und sacken lassen. 

Im ganzen Interview erfährst du, was genau das für eine spukende Welt ist, die sich Gezelle Twin aufgebaut hat: 

Gazelle Twin | Bild: 3FACH


"At first, it was very challenging, now it's more in the body so it feels very good." - Mabe Fratti im Interview

Es ist kalt, noch sehr früh an diesem Sonntag Nachmittag, es hat noch fast keine Besucher*innen vor der Dampfzentrale. Mabe Fratti kommt ganz gemütlich nach ihrem Soundcheck raus und ist motiviert, mit uns ins Gespräch zu kommen. Sie ist nicht alleine, ihr Drummer Friso van Wijck und Gitarrist I. La Católica sitzen neben ihr. Die Stimmung ist sehr gelassen und frei.

Mabe Fratti | Bild: 3FACH
Diesen Sommer veröffentlichte sie ihr neustes Album Sentir que no sabes - ein Album, das zu Beginn komplett anders klang und auch jetzt noch in Live-Performances jedesmal anders klingen, da sie live nicht genügend Hände haben, um alle Instrumente zu spielen, sagt Mabe. Bei jeder Live-Performance werden also kleine musikalische Folgen leicht improvisiert, was jede Show einzigartig macht.

"But still, some songs are still intimidating."

"Like, oh man..." Obwohl sie seit diesem Sommer on Tour sind und über 40 Shows gespielt haben, fühlt sie sich immer wieder nervös zu performen, als stünde sie vor eine Klippe. Sie sagt, sie fühle sich manchmal von ihr selbst und ihren eigenen Songs eingeschüchtert.

Das Konzert am Full of Lava ist das letzte ihrer langen Tour und sie fühlt sich deswegen auch etwas "melo". Wie ihre Show wohl klingen mag, erzählt sie uns im Interview:

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