Festivalsaison

3FACH am Echolot 2025

In der Herbstkälte bietet das Echolot auch dieses Jahr in den aussergewöhnlichsten Locations musikalischen Unterschlupf. Träumerischer Orgelambient im Krematorium, hypnotischer Spiritual-Jazz im Möbelladen oder doch lieber ansteckend tänzerischer Pop im leeren Pool. Bewaffnet mit Mikrophon und Kamera schlängelt sich Gabriel auf seinem Velo durch die Luzerner Neustadt. Die Highlights vom diesjährigen Echolot sowie Live-Goodies und Interviews gibts im vollen zweistündigen Recap!

Unter der Oberfläche

Dort, wo 1924 der Literaturnobelpreisträger Carl Spitteler als erster Luzerner kremiert wurde (die Kremation war damals im katholischen Luzern ein Tabu), eröffnet Catia Lanfranchi mit andächtigen Klängen das Echolot 2025. Gegenüber der Plattform Shape sagt Catia über ihr Soloprojekt Junge Eko: “I create music spontaneously, drawing from my surroundings and crafting an empty space filled with raw, honest feelings. This process demands vulnerability.”

District Five im Kleintheater | Bild: 3FACH, Gabriel Christen

Diese Verletzlichkeit ist spürbar – in den wiederholenden Phrasen ihres Orgelspiels, ihrer flüsternden Stimme, ihrem Verweben unterschiedlicher Klanglandschaften, von Fieldrecordings bis zu eindringlichen Synthklängen.

Vom Krematorium gehts weiter ins Gewächshaus am Rotsee. Dort präsentiert Les Yeux Sans Visage-Sänger Remo Helfenstein sein zweites Soloalbum Spite. Die Kassetten-Alchemie seines Erstlingswerks Comforting Katharina weicht einer digitaleren Umgebung. Auf der Bühne wird er unterstützt von einer regelrechten Supergroup der Luzerner Musikszene: an der Gitarre Klara Germanier und Manuel Troller, am Bass Olivier Vogel, am Klavier Raphael Loher. Wellenartig türmen sich die Klänge auf, getrieben von Remo Helfensteins eindringlichem Bariton, bevor sie wiederholt in sich zusammenbrechen und die Verwundbarkeit hinter dem Majestätischen offenbaren.

Mit District Five bringt das Echolot ein weiteres Bijoux der Schweizer Musikszene nach Luzern. Schon lange bekannt für ihren dynamischen, ständig vorwärtstreibenden Sound, der gekonnt durch Genregrenzen navigiert, ohne dabei die genau richtige Prise Pop-Sensibilität zu verlieren. Die Musik wirkt warm, unmittelbar und ist mit der Unterstützung von Perkussionistin Bérénice Awa noch ein gutes Stück grooviger als gewohnt.

"Die Musik ist schlauer als ich!" - Trace Polly im Interview

"Give me all of your loving, wrapped so tightly, kept inside me." Mit diesen Worten eröffnet die Kölner Musikerin Trace Polly ihr zweites Album T4tears. Nach einem Debut, welches sich stark auf digitale Produktionen stützte, ist es eine Rückkehr zu den Ursprüngen ihrer musikalischen Reise. Diese startete im Alter von elf Jahren mit den ersten Versuchen an der Gitarre. Stundenlang hatte sie sich in ihrem Zimmer eingeschlossen, zum Üben, zum Spielen und Dichten. So ist T4tears eine intime Auseinandersetzung mit der Erfahrung einer Trans*-Kindheit und den damit verbundenen Traumata und Verdrängungsstrategien. Eine Annäherung an ein früheres Ich, einen Versuch, sich näher an das frühere Ich zu bringen. Mehr dazu im vollen Interview!

Wenn Trace Polly gerade nicht auf der Bühne oder im Studio anzutreffen ist, arbeitet sie als Filmschaffende. Als transdisziplinäre Künstlerin nimmt sie die Musik aber immer noch als das unmittelbarste, persönlichste Medium war. Beim Musizieren, so Trace, offenbaren sich Facetten ihrer eigenen Realität, die ihr vorher nicht bewusst waren oder verdrängt wurden. Die Musik als Raum der Selbstentdeckung und Entfaltung. Trotzdem gestaltet sich das Leben als Musikerin als ständiges Aushandeln. Wie viel Zeit soll ich für etwas investieren, das ich so fest brauche, von dem ich aber nicht ansatzweise leben kann? Einen gesunden Umgang mit der eigenen Kunst zu finden ist für Trace nicht einfach.

Trace Polly im Neubad | Bild: 3FACH, Gabriel Christen

Im Neubad-Pool wird Trace begleitet von der Harfenistin Ráhel Eckstein-Kovács, die an diesem Tag auch gleichzeitig ihren Geburtstag feiert. Die grossen Ausbrüche fehlen, dafür wirkt die Musik umso verletzlicher und nahbarer. Starke Verzerrung und Vocal-Effects sind keine zu hören, der Ausdruck ist unmittelbar und direkt. In welche Richtung es bei Trace Polly in naher Zukunft geht, ist noch unklar. Die ersten Songs für ein geplantes drittes Album sind bereits geschrieben.

"Every Song I make is forever" - Martha Da'ro im Interview

Etwas verhalten zeigt sich das Publikum in den ersten Minuten von Martha Da'ros Auftritt. Doch spätestens nach zwanzig Minuten ist auch der grösste Tanzmuffel von seinem gepolsterten Sitzplatz im Neubadpool aufgestanden. Niemand kann sich vor dem Booty-Shaken drücken. Zwei Jahre sind vergangen, seitdem die belgische Musikerin ihr Debutalbum Philophobia veröffentlicht hat; die Songs resonieren aber bis heute nach, wie sie im Interview verrät.

Philophobia beschreibt die Angst davor, geliebt zu werden. Das Werk ist stark autobiografisch geprägt und zeichnet persönliche Entwicklungen in Marthas Leben nach. Der Sound ist dicht und durchzogen von einer unheimlich-melancholischen Atmosphäre. Als multidisziplinäre Künstlerin zieht Martha auch Erfahrungen aus ihrer Karriere als Filmschaffende und Schauspielerin mit in die Musik. Songs zu schreiben, betrachtet sie als einen anderen Modus des Storytellings; mit ihrer Stimme kanalisiert sie verschiedene Figuren ihres Innenlebens. Als Angehörige der angolischen Diaspora verarbeitet sie zudem Einflüsse aus dem rhythmisch aufgeladenen Kuduro, besonders gut hörbar auf dem Track For So Long.

Der Chorus „deixa cair tudo“ stammt von einem bekannten Kuduro-Song und bedeutet auf Deutsch so viel wie „lass alles fallen“. Wegen dieser Vermischung von angolischen und westlichen Einflüssen nennt Martha ihre Musik auch Diaspop. Während diese afrikanischen Rhythmen auf den Recordings eher im Hintergrund mitschwingen, versucht Martha, die perkussive Ebene in ihrer Musik im Live-Kontext stärker zu betonen.

Martha Da'ro | Bild: 3FACH, Gabriel Christen

Es ist eines der letzten Konzerte, in denen sich Martha den Songs auf Philophobia widmet. Neue Musik ist schon in Planung, jedoch braucht das Ganze noch seine Zeit. Jedes Lied muss für sie unsterblich sein, seine Bedeutung über Jahrzehnte weitertragen können. Kein Wunder, dass Martha sehr penibel ist, wenn es darum geht, neue Klänge zu veröffentlichen.


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