Jeden Frühling versammelt sich die ganze Welt in Stans. Über das gesamte Städtli verteilt genossen während fünf Tagen rund 20'000 Besuchende ein musikalisches Programm, das für alle etwas bot. Vom lüpfigen Klezmer der Zürcher Band Cheibe Balagan bis zu den bluesigen Melodien des Gitarrenkönigs aus Mali, Vieux Farka Touré. Auch wir waren dabei! Unten fassen wir dir in einer zweistündigen Sendung die prägendsten Ereignisse zusammen.
Der Blues-Botschafter aus der Wüste - Vieux Farka Touré im Interview
15 Jahre nach seinem selbstbetitelten Debut wendet sich Vieux Farka Touré 2022 mit dem Album «Les Racines» seinen Wurzeln zu. Während er sich anfangs seiner Karriere um künstlerische Eigenständigkeit und Einzigartigkeit bemühte, sieht er sich heute mehr als ein Botschafter eines Klanges, der schon weit vor seiner Geburt entwickelt wurde.
An der Speerspitze des sogenannten «Desert Blues» – wie die gitarrenbasierte Musik der Sahel-Zone genannt wird – stand über Jahrzehnte Ali Farka Touré, Vieux’ Vater. Dieser war anfangs nicht allzu begeistert von den musikalischen Ambitionen seines Sohnes. Lieber sollte er eine Karriere im Militär anstreben – zu unsicher erschien ihm die finanzielle Situation eines Musikers. Für die Aufnahmen zu Les Racines spielt Vieux auf der Gitarre, die seinen Vater während dessen gesamter Karriere begleitet hat.
 Vieux Farka Touré mit seiner Band im Theater an der Mürg | Bild: 3FACH
Vieux Farka Touré mit seiner Band im Theater an der Mürg | Bild: 3FACH
Neben «Les Racines» widmet sich Vieux auch auf der Langspielplatte «Ali» den Klängen seines Vaters. Das Album entstand in Zusammenarbeit mit den texanischen Audiophilinnen von Khruangbin und besteht ausschliesslich aus Neuinterpretationen von Ali Farka Touré Songs. Diesen Rückzug zu den Ursprüngen seiner eigenen musikalischen Identität sieht Vieux Farka Touré jedoch nur als eine weitere Etappe in seinem musikalischen Werdegang. Wohin es als nächstes geht, weiss er nicht – jedoch will er weiterhin mit spannenden Musikerinnen kollaborieren. Schliesslich sieht er in der musikalischen Zusammenarbeit nicht nur einen Austausch, sondern auch eine Möglichkeit, seine eigene kreative Entwicklung voranzutreiben.
Musik ist nicht nur Kunst, sondern auch eine Übermittlerin von Nachrichten – eine Qualität, die in der traditionellen Musik Malis schon seit Jahrtausenden genutzt wird. So sieht sich Vieux auch als ein Bote des Friedens: Seine Texte stellen sich gegen die Gewalt und appellieren an den menschlichen Verstand und die Möglichkeit eines friedlichen Zusammenlebens.
"I Realized It Was Me!" - Steam Down im Interview
Normalerweise dauern ihre Auftritte weniger als eine Stunde – trotzdem war Steam Down auch nach fast 90 Minuten Auftritt kaum von der Bühne zu bringen, und das aus gutem Grund. Das Kollektiv heizte das Kollegi zu einem stickigen Kessel voller tänzerischer Energie an und liess sich immer wieder aufs Neue vom Publikum zu neuen, explosionsartigen Ausbrüchen musikalischer Extase antreiben.
Obwohl Steam Down erst dieses Jahr ihre Debut-LP auf den Markt bringt, ist das Kollektiv schon lange ein integraler Bestandteil der Londoner Jazz-Szene, deren Strahlkraft längst über die Stadtgrenzen hinaus in die ganze Welt wirkt. 2017 gegründet, liegt Steam Down das Pflegen einer lebendigen Musikszene am Herzen. Bei den wöchentlichen SD Weekly Events präsentieren sie in einem Community Center in Peckham – einem der ethnisch diversesten Teile der Stadt – ihr Können. Die Musik kanalisiert verschiedene Einflüsse diasporischer Klänge: karibische Rhythmen treffen auf feurige Saxophonklänge à la Fela Kuti und kosmische Improvisationen, die an die Live-Aufnahmen des Sun Ra Arkestras erinnern. Dazu kommen gesellschaftskritische Texte von Vocalist Afronaut Zu, welche systemische Missstände anprangern und an das eigene Durchhaltevermögen appellieren – in einer Welt, die einem zunehmend feindlich gesinnt ist.
 Ahnansé vom Steam Down Kollektiv | Bild: 3FACH
Ahnansé vom Steam Down Kollektiv | Bild: 3FACH
Musik, so der Spiritual Leader und Saxophonist des Kollektivs Ahnansé, wachse in der heutigen Gesellschaft immer mehr an Bedeutung. Menschen achten zunehmend auf ihre Ernährung und ihre mentale Gesundheit. Dass auch Musik zu einer massiven Verbesserung des eigenen physischen und psychischen Zustands beitragen kann, weiss er schon lange. Sein Ziel ist es, jeder einzelnen Person, die ein Konzert seines Kollektivs besucht, die nötige Energie mitzugeben, um positiver gestimmt durchs Leben zu gehen.
Zauber im Wind - Duo Ruut im Interview
Mit dem Suur Munamäg (dt. grosser Eierberg) – mit 318 Metern über Meer der höchste Berg Estlands – liesse sich diese Landschaft nicht vergleichen, lachen Ann-Lisett Rebane und Katariina Kivi nach ihrem Ausflug auf das Stanserhorn und wenige Stunden vor ihrem Auftritt in der Kapuzinerkirche. Seit nun mehr als acht Jahren sind die beiden unter dem Namen Duo Ruut unterwegs. Aufgewachsen in einem Land, das sich seine Freiheit im wahrsten Sinne des Wortes ersungen hat (siehe Singende Revolution), wurden auch die beiden Musikerinnen in einem Umfeld gross, wo jahrhundertealte Volkslieder zum Alltag gehören und ein Chorbesuch in der Schule obligatorisch ist.
Für ihre eigenen Kompositionen durchforsten die beiden Datenbanken auf der Suche nach passenden Texten aus dem breiten Korpus der estnischen Liedtradition. Die Wörter bleiben die gleichen, die Arrangements werden jedoch neu gestaltet. Die Texte des neuen Albums «Ilmateade» (dt. Wetterbericht) folgen dem estnischen Konzept, Naturgegebenheiten als Metaphern für innere Kämpfe und Schwierigkeiten zu nutzen – aber auch, um auf grössere Probleme aufmerksam zu machen. Diese Ebene wird durch das Wort «Ilm» verdeutlicht, das auf Estnisch sowohl «Wetter» als auch «Welt» bedeuten kann. Auch eröffnen die Texte eine magische Ebene: Sie dienen nicht nur dem Ausdruck von Empfindungen, sondern halten auch eine etwas praktischere Funktion inne. So dient das Lied «Tuule sõnad» auch als eine Art Zauberspruch, der die eisigen Meereswinde vertreiben soll.
 Ann-Lisett Rebane und Katariina Kivi vor dem Stanser Kapuzinerkloster | Bild: 3FACH
Ann-Lisett Rebane und Katariina Kivi vor dem Stanser Kapuzinerkloster | Bild: 3FACH
Neben den beiden Stimmen, die sich mal harmonisch ergänzen, sich zwischendurch in Call-and-Response-Muster hochschaukeln und dann auch kanonartig einander hinterherrennen, steht die estnische Kannel im Vordergrund. Ähnlich dem Appenzeller Hackbrett – wobei die Kannel typischerweise gezupft oder mit den Fingern fein angeschlagen und nicht «gehackt» wird – ergänzt das Instrument nicht nur auf harmonischer und melodischer Ebene, sondern wird auch immer wieder durch kleine Klopf- und Schlagbewegungen zum Perkussionsinstrument. Eine Spielweise, die sich klar von der Tradition distanziert, dafür aber umso mehr auf Anklang stösst. So spielen Duo Ruut diesen Sommer noch an zwei der grössten europäischen Festivals – Roskilde und Glastonbury – und können dort tausende weitere Menschen verzaubern.
Krach und Kimono - Mitsune im Interview
Traditionelle japanische Musik gepaart mit der richtigen Prise Punk. Kann das gut gehen? Oh ja – und wie. Mitsune ist im Moment in Berlin zu Hause, die Mitglieder der Band sind aber unter anderem in Japan, Australien und Griechenland verwurzelt.
Am Anfang stand die Liebe zur Shamisen, einem traditionell japanischen Saiteninstrument, das ähnlich wie ein Banjo aussieht, im Vergleich zu diesem aber nur drei Saiten besitzt und mit einem Plektrum gespielt wird. Der Klang ist kräftig und etwas stumpf. Unter den Schülerinnen in Tokyo war die Shamisen alles andere als das Lieblingsinstrument. Ihre Lehrpersonen haben sie mit Süssigkeiten bestochen, damit sie den Shamisen-Unterricht besuchen, erinnert sich Shiomi Kawaguchi – ein Viertel von Mitsune – zurück. Erst mit der Zeit habe sie das Instrument lieben gelernt.
 Youka Snell, Shiomi Kawaguchi, Daigo Nakai und Petros Tzekos | Bild: 3FACH
Youka Snell, Shiomi Kawaguchi, Daigo Nakai und Petros Tzekos | Bild: 3FACH
Anders war es bei Youka Snell, die zusammen mit Shiomi Kawaguchi und Tina Kopp die Band 2018 gegründet hat. Ursprünglich akademisch ausgebildete Geigerin, war die Shamisen Teil einer Wiederentdeckung ihrer japanischen Wurzeln. Die Band startete mit Interpretationen alter japanischer Stücke aus der Minyo-Tradition. Heute schreiben sie auch eigene Stücke, welche aus der Feder von Youka stammen. Die Auftritte von Mitsune sind energetisch und theatralisch – schliesslich ist das Instrument auch Bestandteil des japanischen Kabuki-Theaters. Auf der Bühne tragen Mitsune Kostüme, die ihre fluide Vermischung von Tradition und Moderne auf visueller Ebene widerspiegeln. Die farbenfrohen Kostüme aus Stofffetzen alter Seiden-Kimonos haben jedoch einen Nachteil: Sie lassen sich nicht waschen.
Für ihre Show an den Stanser Musiktagen spielten Youka Snell und Shiomi Kawaguchi zusammen mit dem Perkussionisten Petros Tzekos und dem Bassisten Daigo Nakai.
Diese Berichterstattung hat die Kulturförderung Nidwalden ermöglicht!

 
                     
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
            