Brian Eno, Karlheinz Stockhausen, David Bowie: Die Liste der Menschen, die Annette Peacock während über 50 Jahren Karriere mit ihrer Musik beeinflusst hat, ist lang. Trotzdem blieb sie stets ein Musician’s Musician, eine Künstlerin, die sich eher durch die Wirkungskraft, die sie auf andere Musikschaffende ausübte, auszeichnet – und weniger durch kommerziellen Erfolg. Von ihren bahnbrechenden Synthesizer-Experimenten mit der Bley-Peacock Synthesizer Show in den späten 60ern bis zu den malerisch-abstrakten Klängen ihrer Soloalben bleiben Annette Peacocks Werke stets unberechenbar, dynamisch und überraschend. Einen besseren Einblick bekommst du in der vollen Sendung:
In Montreux ausgebuht
Aufgewachsen in Kalifornien, strebt die gebürtige Annette Coleman zuerst eine Karriere als Schauspielerin an, lehnt schliesslich aber 1960 einen Vertrag bei United Artists ab und lässt sich von ihrem ersten Mann Gary Peacock in die Welt der Musik ziehen. Dieser ist als Jazzbassist mit Legenden wie Bill Evans und für kurze Zeit auch mit Miles Davis unterwegs. Auf Annettes Anraten widmet er sich dann aber Mitte der 60er-Jahre den ungehemmten Klängen der Free-Jazz-Pioniere Albert Ayler und Don Cherry.
Schon bald beginnt Annette eine Beziehung mit dem Pianisten Paul Bley, dessen Band ihr Ehemann angehörte. Zusammen gründen die beiden die Bley-Peacock Synthesizer Show, eine der ersten elektrischen Jazzbands. Von Robert Moog, mit dem sie persönlich befreundet sind, erhalten sie die ersten Prototypen der später weltbekannten Moog-Synthesizer. Die Instrumente sind nicht sehr transportfreundlich und extrem sensibel. Anders als bei einem Klavier, bei dem mit jedem Tastenschlag automatisch der passende Ton erklingt, muss ein Moog-Synthesizer zuerst programmiert und jede Vibration aus einer einfachen Sinuswelle aufgebaut werden. Trotzdem wagen es die beiden, die Synthies mit auf die Bühne zu nehmen. Zwischen den verschiedenen Stücken müssen die Instrumente teils dutzende Minuten lang umprogrammiert werden. Je nach Ort reagieren die Geräte mit Störgeräuschen auf selbst leichte elektromagnetische Schwingungen im Raum.
Am Jazzfestival Montreux werden sie zunächst ausgebuht. Heute ist jedoch klar: Die Bley-Peacock Synthesizer Show war eine wegweisende Band in der weiteren Entwicklung der populären Musik. Die in den Live-Shows ausgearbeiteten Stücke erscheinen 1969 auf der einzigen Platte der Band: Revenge: The Bigger The Love The Greater The Hate.
Dem Ton ein Zuhause geben
Als Kind spielt Annette zwar immer wieder am Klavier im Wohnzimmer herum, geniesst aber nie formalen Musikunterricht. Als sie beginnt, mit Paul Bley zu musizieren, ist er fasziniert von ihrem feinfühligen Gespür für musikalische Realitäten. Er rät ihr davon ab, sich mit Musiktheorie zu beschäftigen – aus Angst, sie könne dadurch ihre Einzigartigkeit verlieren.
Mit I’m the One erscheint 1972 ihr Debütalbum als Solokünstlerin beim Major-Label RCA. Die Musik wirkt herausgepützelt, aber trotzdem wild. Peacock lässt ihre Stimme durch den Moog-Synthesizer fliessen. Mal klingt sie spielerisch und naiv, mal unheimlich und robotisch. I’m the One bleibt ihr letztes Album für ein Major-Label. RCA versucht, sie zu überzeugen, die Tracks der Platte live zu promoten.
Ein verpasster Flug von London zurück in die USA veranlasst Peacock schliesslich intuitiv dazu, die nächsten 20 Jahre in Grossbritannien zu verbringen. Dort gründet sie in den 80er-Jahren auch ihr eigenes Label ironic. Aus Songs, ursprünglich geschrieben für ein gescheitertes Kollaborationsprojekt mit Brian Eno, entsteht 1982 das Album Sky-Skating. Die Platte beschreibt Annette selbst als eine durchsichtige Aquarellmalerei auf Papier: schwebende, ruhige Klänge – eine musikalische Liebesgeschichte.
Playlist
Annette Peacock - I'm the One
Annette Peacock - 7 Days
Annette Peacock - A loss of conciousness
Annette Peacock - I belong to a world that’s destroying itself
Annette Peacock - Mr. Joy
Annette Peacock - Daddy’s Boat
Annette Peacock - Pony
Annette Peacock - Been & Gone
Annette Peacock - One Way
Annette Peacock - Gesture Without Plot
Annette Peacock - Did You Hear Me Mommy?
Annette Peacock - Too Much in the Skies
Annette Peacock - Don't Be Cruel
Annette Peacock - The Succubus
Annette Peacock - Solar System
Annette Peacock - Sky Skating
Annette Peacock - Rap with the Trees
Annette Peacock - Trust
Annette Peacock - The Carousel
Annette Peacock - The Feeling’s Free