Brandneue Musik im Intravinyl?!? Zum ersten Mal seit Jahrzehnten ist die Musik des Sängers Ara Kekedjian wieder auf dem Markt erhältlich. Bourj Hammoud Groove heisst die letzten Freitag erschienene Compilation bei Habibi Funk und Rocky Hill Records. Aufgenommen im gleichnamigen armenischen Viertel in der libanesischen Hauptstadt Beirut. Fürs heutige Intravinyl haben wir mit dem Mann hinter dieser Neuveröffentlichung gesprochen: Darone Sassounian – ein DJ und Musiksammler, der sich auf das Schaffen armenischer Musiker*innen im Libanon und in seiner Heimatstadt Los Angeles spezialisiert hat. Klänge, die von der Resilienz und Stärke einer Community zeugen, die trotz jahrelanger Unterdrückung und Verfolgung selbst tausende Kilometer entfernt von ihrer Heimat ihre kulturelle Identität pflegt und in der Diaspora neu entfaltet. Im Exil entsteht bahnbrechende Kunst, die man so im sowjetischen Armenien nicht auf den Markt bringen könnte. Mehr gibt’s in der ganzen Sendung!
Der Soundarchivar
Darone Sassounian | Bild: Facebook via. MIASEEN Inc
Darone Sassounian ist als Kind armenischer Einwanderer in Montebello, einem Vorort von Los Angeles, aufgewachsen. Seit einigen Jahren widmet er sich der Aufarbeitung der armenischen Popgeschichte. Diese Arbeit mündete nicht zuletzt im Compilation-Album Silk Road: Journey of the Armenian Diaspora (1971–1982) und der jüngst erschienenen Ara-Kekedjian-Platte Bourj Hammoud Groove. Armenische Musik sei das Gewebe seiner eigenen kulturellen Identität, sagt Darone. Mit intensiver Archivarbeit möchte er die Musik, die er damals durch die Plattensammlung seines Vaters lieben gelernt hat, an ein grösseres Publikum bringen. Alle Stücke in den Projekten von Darone Sassounian werden direkt bei den Künstler*innen oder ihren Hinterbliebenen lizenziert, die Einnahmen 50/50 geteilt. Es sei in nächster Zukunft schon viel Neues (oder eben Altes) geplant. Wir bleiben gespannt! Das ganze Interview mit Darone gibt es hier zum Nachhören:
Vom Fotoladen zum Musiklabel
Unsere Reise durch die Musik der armenischen Diaspora beginnt in Los Angeles, wo sich ab dem frühen 20. Jahrhundert Tausende vom Genozid geflüchtete Armenierinnen ansiedeln. Heute leben in der Stadt rund 200'000 Armenierinnen, die grösste Community ausserhalb Armeniens. Der Mittelpunkt bildet dabei «Little Armenia» im Stadtteil East Hollywood. Dort betreibt der Geschäftsmann Kevork Parseghian ab den 40er-Jahren ein Passfoto-, Druck- und Notariatsbüro, welches schon bald zu einem Treffpunkt der Diaspora wird. Ihm fällt auf, dass viele seiner Kundinnen vorgeben, talentierte Musikerinnen zu sein, und gründet kurzerhand aus seinem kleinen Lädeli ein Plattenlabel. Er finanziert fortan die Projekte zahlreicher späterer Legenden der armenischen Pop-Musik, unter anderem auch 1979 das Debütalbum von Avo Haroutiounian: Sunrise. Bis heute das einzige Album, auf dem das Ausnahmetalent als Sänger zu hören ist. Sonst ist Haroutiounian vor allem als Bassist und Songwriter aktiv. Sunrise ist heute ein extrem seltenes Sammlerstück. Der erste Track «Ardzunkner Ajkerum» dirigiert von der südkalifornischen Hitze träge, schleppende Funk-Grooves durch eine verträumte Klanglandschaft aus kosmischen Synths und verzweifelten Vocals. Auf Deutsch bedeutet der Titel so viel wie «Tränen in meinen Augen». Man munkelt, dass Haroutiounian zur Zeit des Release gerade eine sehr schlimme Trennung durchmachte.
Glückliche Zufälle
Parseghian Records wird in den 70er-Jahren zu einem Leuchtturm für armenische Talente. Auch aus dem Ausland zieht es Menschen in das kleine Notariatsbüro. So auch Jozeph Sefian, der eigentlich im Iran lebt, nach der iranischen Revolution aber aufgrund der strengen Zensur seine Musik nicht mehr veröffentlichen kann. Er unternimmt einige nervenaufreibende Ausflüge nach Los Angeles, um bei Parseghian einige hypnotisch tänzerische Tracks aufzunehmen. Auch Avo Haroutiounian wächst eigentlich in der armenischen Hauptstadt Yerevan auf (damals Teil der sowjetischen Republik Armenien). Mitte der 70er-Jahre zieht er nach Los Angeles und trifft dort direkt vor der Türe von Parseghian Records auf einen alten Schulfreund aus Armenien: Harout Pamboukjian. Die beiden arbeiten ab 1976 an einigen wegweisenden Alben für Parseghian und die armenische Popmusik generell. 1980 produzieren sie eine LP, gewidmet den hunderttausenden Opfern des armenischen Genozids. Die Melodien sind ausschweifend und andächtig, auf die gefühlsgeladenen Gesangseinlagen Pamboukjans folgen ausgedehnte Instrumentals von Streichern, Bläsern, E-Gitarre und Orgel. Die Tracks fliessen ineinander, die Grenzen verschwimmen. Entstanden ist die Platte, der Legende nach, entgegen der eher bedrückenden Stimmung in einer feuchtfröhlichen Nacht, zwischen Bierflaschen und Zigarettenpäckchen.
Bourj Hammoud Groove
Die Szene rund um das kalifornische Label Parseghian sei, verglichen mit der Musiklandschaft in Bourj Hammoud, nur ein Tropfen im Fass der armenischen Popgeschichte, sagt Darone Sassounian. Auch seine Familie ist verwurzelt im ostbeiruter Stadtteil. Entstanden ist Bourj Hammoud, nachdem Tausende Armenierinnen vor der Verfolgung türkischer Milizen in den heutigen Libanon flüchteten. In der französischen Mandatszeit üben Klänge aus dem Chanson und dem Yé-yé einen entscheidenden Einfluss auf armenische Musikerinnen aus. Ara Kekedjian gilt als erster Musiker, der im Libanon Lieder auf Armenisch aufnimmt. Auch Darone wächst mit seiner Musik auf. Er erinnert sich an die Autofahrten zur Schule im kalifornischen Montebello. Die Augen fallen fast zu, durch die Lautsprecher die spielerischen Klänge von Ara Kekedjian. Neben naiver, leichtsinniger Kindermusik veröffentlicht Kekedjian in den 60er- und 70er-Jahren auch Lieder, welche für ein älteres Publikum bestimmt sind. Musik, die an die energetischsten Tunes eines Jacques Dutronc erinnert. Klänge vollgepackt mit Energie, sodass fast der historische Kontext vergessen geht, in welchem diese Melodien entstanden sind. Auf der neu erschienenen Compilation Bourj Hammoud Groove sind Tracks zu hören, die Ara Kekedjian kurz vor und während des libanesischen Bürgerkriegs aufgenommen hat. Bourj Hammoud Groove erschien am 15.11.2025 bei Habibi Funk.
Playlist:
Marten Yorgantz - Ammenaïn Serdov (De Tout Coeur) (With All My Heart)
Adiss Harmandyan - Ors Kez Hed Antzav (My Day Spent with You)
Jozeph Sefian - Karoun E Yegel (Spring Has Come)
Jozeph Sefian - Sev Sev Achair (Black Black Eyes)
Eddy Jeghelian - Im Sireli Ashdarag (My Dear Ashdarag)
Avo Haroutounian - Tears on My Eyes
Avo Haroutiounian - Yerku Jutak
Avo Haroutiounian - Kez Mot
Avo Haroutiounian - Sunrise
Harout Pamboukjian - Taparoum Enk (We're Wandering)
Harout Pamboukjian - Khighj
Harout Pamboukjian - Ashkhari Tzavov
Harout Pamboukjian - Heragrakan Hamerg
Harout Pamboukjian - Voghpam Merelotz
Bella Darbinyan - Zepuri Nman
Raisa Mkrtchyan - Ur Tegh Es Hima
Ara Kekedjian - Mini, Midi, Maxi
Ara Kekedjian - Ay Dghakner
Ara Kekedjian - Ghapama
Ara Kekedjian - Seta, Seta
Ara Kekedjian - Djeyrani Bess
Ara Kekedjian - Karoun, Karoun
Ara Kekedjian - Intch Imanayi
Ara Kekedjian - Ayn Oren
Ara Kekedjian - Hayasdani Aghtchigner
Ara Kekedjian - Sev Sev Atcher
Ara Kekedjian - Karavan