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Über das Löwendenkmal und Schweizer Söldner

Der Reisecar hält an, die Gruppe Tourist*innen folgt dem Regenschirm am Bourbaki vorbei zu einem ehemaligen Steinbruch. In einem kleinen, ruhigen Park schiessen Menschen Selfies, verbringen ein paar Minuten und gehen dann weiter. Das Löwendenkmal zieht Touristen aus der ganzen Welt an. Die Geschichte hinter dem umstrittenen Monument – dem jahrhundertelangen Handel mit Schweizer Söldnern, dem Sturz der Monarchie in Frankreich und verschiedenste Kontroversen im Laufe der Zeit – ist den meisten nicht bekannt. 

Mit dem Historiker Dr. Jürg Stadelmann haben wir über die Geschichte und die politischen Debatten rund um das Löwendenkmal gesprochen und uns mit der Geschichte der Schweizer Söldner auseinandergesetzt.

Tourismus

Der Luzerner Tourismus begann mit dem Löwendenkmal. Zu einer Zeit als die Kapellbrücke noch als «schwarzes, hässliches, mittelalterliches Möbel» betrachtet wurde, begannen Reisende Luzern zu besuchen, um den 10x6 Meter grossen Löwen zu sehen. Mark Twain beschrieb ihn 1880 sogar als das «traurigste und bewegendste Stück Stein der Welt». Spätestens als nach dem Zweiten Weltkrieg amerikanische Soldaten den Löwen aus Stein besuchten und Postkarten in die Heimat schickten, wurde der Ort weltbekannt. Jährlich besuchen heute etwa eine Million Menschen das Denkmal, doch nur die wenigsten wissen, worum es dabei eigentlich geht.


Amerikanische GIs vor dem Löwendenkmal, ZHB Sondersammlung



Die Geschichte hinter dem Löwen

Der 10. August 1792 – die Französische Revolution ist seit drei Jahren im Gange. Ein Parlament wurde eingerichtet, aber der König hat weiterhin politische Macht. Bis um Mitternacht hätte die Nationalversammlung dafür sorgen müssen, dass er von seinem Amt abtritt. Die bürgerlichen Abgeordneten wollten damit einen Kompromiss finden, der eine weitere Eskalation verhindert, doch die radikalen Jakobiner von links planen bereits den Umsturz. Am frühen Morgen marschieren tausende Revolutionäre auf den Tuilerien-Palast, dem Wohnsitz des Königspaars, zu und stürmen das Gebäude. Begleitet werden Sie dabei unter anderem auch von der französischen Nationalgarde, die ihrem König den Rücken kehrten. Bewacht wird die Familie nun nur noch von rund 350 Söldner der Schweizer Garde, die hoffnungslos in der Unterzahl sind. Nach dem Kampf wird der König wird abgesetzt und ein Jahr später sterben Louis XVI und Marie-Antoinette durch die Guillotine.


Glorifizierte Darstellung des Tuileriensturms von Otto Lurch und Ludwig Bang



Das Löwendenkmal gedenkt diesen gefallenen Schweizergardisten, führt aber auch die Überlebenden auf. Namentlich genannt werden allerdings lediglich die Offiziere, die üblicherweise aus wohlhabenden Familien kamen. Zumeist aus denselben Familien, die die Söldner auch nach Frankreich schickten. Das Söldnerwesen war zu dieser Zeit nämlich ein Riesengeschäft. Der Begriff „Söldnerwesen“ ist aber suboptimal, denn für ein „Wesen“ ist niemand verantwortlich. Tatsächlich verdienten die Patrizierfamilien mit dem Söldnerhandel aber ein Vermögen. Diese Handelsdynastien hielten Jahrhunderte an und ermöglichten den männlichen Nachfahren zusätzlich eine begehrte Offiziersausbildung.

Die Gründe als Söldner in einem fremden Land zu reisen waren unterschiedlich. Man könnte Söldner aus dieser Zeit mit dem vergleichen, was wir heute als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnen. Menschen die für ein besseres Leben für sich oder ihre Familie an einen anderen Ort reisen, wo sie mehr Geld verdienen können. Nebst der Armut lockte aber auch die militärische Erfahrung, das Abenteuer oder die wirtschaftlichen Privilegien, die man als Söldner innehatte. Es war ganz grundsätzlich sehr lukrativ als Soldat in einer fremden Armee zu dienen. Das alles machte die Söldner zudem zu begehrten Ehemännern: Auch wenn nur ein Drittel der Söldner wieder heimkehrte, hiess das keineswegs, dass die Anderen alle gestorben sind. Trotzdem war der Beruf mit einem grossen Risiko verbunden. Viele der Veteranen kehrten auch damals mit einer Behinderung oder schwer traumatisiert heim.

Einige Jahre nach dem Tuileriensturm wurde die damalige «Schweiz» von Frankreich unter Napoleon überfallen. Erst als dieser 1815 zum zweiten Mal ins Exil geschickt wurde und die Helvetische Republik aufgelöst wurde, konnte ein Denkmal für die Verteidiger der alten Monarchie erbaut werden. Der Luzerner Karl Pfyffer – der selber Offizier in der Schweizer Garde war, sich zum Zeitpunkt des Massakers aber im Urlaub befunden hatte – wollte seinen Kollegen ein Denkmal errichten. Er sammelte in konservativen Kreisen und ausländischen Königshäusern Geld und beauftragte den dänischen Bildhauer Bertel Thorvaldsen, das Denkmal zu entwickeln. Der angesehene Künstler war jedoch zu teuer für Pfyffer, weswegen er sich in der Schweiz umsah. Der erste Bildhauer Urs Pankraz Eggenschwiler wurde dann aber vom Löwen getötet, als es zu einem Unfall auf der Baustelle kam. Lukas Ahorn vollendete das Monument anschliessend im Jahr 1821.




Buch-Tipp:

In die Höhle des Löwen, Pro Libro Verlag, Büro für Geschichte, Kultur und Zeitgeschehen von Dr. phil. Jürg Stadelmann und rund 20 weiteren Autoren




Ein Denkmal für die Monarchie und andere politische Deutungen

Lange war es so, dass die liberalen Stadtpräsidenten Luzerns sich nie vor dem Löwendenkmal blicken liessen. Im Konflikt zwischen den Liberalen und Konservativen war das Löwendenkmal nämlich klar den zweiten zuzuordnen. Für die Liberalen hingegen war es ein Denkmal gegen die Demokratie, gegen das Volk und für die Monarchie.

In den 1930er und 1940er Jahren wurde das Löwendenkmal dann von Reaktionären instrumentalisiert. Die Frontenbewegung (das Schweizer Pendant zum Nationalsozialismus in Deutschland und dem Faschismus in Italien) war auch in Luzern aktiv und brauchte völkisch-nationalistische Pilgerorte. Zum Faschismus gehört nämlich auch immer Mystifizierung der eigenen Vergangenheit. Im Rütli und beim Löwendenkmal wurde man fündig. Bis heute wird der Luzerner Löwe vereinzelt als Symbol für «die Heimat» instrumentalisiert. Die rechtsextreme Identitäre Bewegung produziert beispielsweise Sticker mit dem Sujet.

Während des Kalten Krieges erhielt das Löwendenkmal eine neue politische Dichtung. Fortan wurden die Schweizer Söldner als starke Krieger inszeniert und das Denkmal zu einem Symbol für Aufrüstung, Verteidigung und Vaterland. Die GSoA (Gruppe für eine Schweiz ohne Armee) hängte 1989 sogar einen Banner an das Löwendenkmal, um für ihre Sache zu werben.


Aktion der GSoA im Abstimmungskampf für eine Schweiz ohne Armee (1989), Keystone



Heute ist der Luzerner Löwe eine Projektionsfläche für unterschiedlichste politische und kulturelle Themen. So gibt es auch Installationen über das Korallensterben oder Performances über das Leiden der geflüchteten Menschen auf dem Mittelmeer. Dr. Jürg Stadelmann erinnert aber daran, dass sich gewisse Dinge wiederholen. Er denkt, dass auch das Löwendenkmal wieder stärker politisiert werden könnte. Gerade in der jetzigen Zeit.


Söldner heute

Seit 1927 ist es verboten als Schweizer für einen anderen Staat als Söldner zu dienen. Die einzige Ausnahme hierbei bildet die Päpstliche Schweizergarde im Vatikan, die es bereits seit über 500 Jahren gibt. Dieses Verbot hält aber längst nicht alle auf. Viele tausend Schweizer kämpften seither unter anderem in der französischen Fremdenlegion. Über 800 linke Söldner*innen kämpften im Spanischen Bürgerkrieg gegen den faschistischen Diktator Franco und rund 2000 Schweizer waren Teil der nationalsozialistischen Waffen-SS. Diese Söldner wurden nach ihrer Rückkehr in die Schweiz normalerweise hart bestraft.

Auch in der jüngeren Vergangenheit gibt es Schweizer Söldner, die für die Israelische Armee (IDF), die private «Sicherheitsfirma» Blackwater im Irak und sowohl für als auch gegen den Islamischen Staat in Syrien gekämpft haben. Auch für die kurdische YPG (Nahe der kurdischen Arbeiterpartei PKK) und in der Ukraine kämpfen Schweizer Soldaten. Gerade diese Söldner sind Teil einer aktuellen politischen Debatte: Wie behandeln wir Menschen, die für ein Land kämpfen, das wir selber unterstützen. Grundsätzlich stellt sich natürlich die Frage, ob die Verteidigung der Ukraine auch die Verteidigung der Schweiz und dem Rest Europas beinhaltet. Eine klare Antwort darauf haben wir nicht, im politischen Diskurs wird ein Einsatz in der Ukraine aber anders behandelt. Der SP-Nationalrat Jon Pult forderte jüngst, dass diese Leute strafrechtlich nicht verfolgt werden sollten. «Zwar ist es illegal, was diese Leute tun. Aber es entspricht den Werten der Schweiz, denn sie verteidigen die Demokratie und die Souveränität eines Landes. Deshalb sollten wir diese Leute nicht verfolgen.» Seine parlamentarische Initiative wurde in der Rechtskomission des Nationalrats allerdings mit 16 zu 9 Stimmen abgelehnt.


Sollte man das Löwendenkmal also abreissen?

Eine Nachahmung des Löwendenkmals in Atlanta (USA), welches an gefallene Soldaten der Südstaaten erinnerte, wurde im Rahmen der Black Lives Matter Bewegung 2021 abgebaut. Man kann sich sicherlich auch in Luzern fragen, ob der Versuch, die Französische Revolution zu verhindern, gewürdigt werden muss. Trotz seiner teils reaktionären, undemokratischen und illiberalen Geschichte hält Dr. Jürg Stadelmann aber nichts davon, das Löwendenkmal in Luzern abzureissen. Er findet, dass es wichtig ist, Möglichkeiten zu bieten, sich informieren zu können. So trug er 2021 zum 200-jährigen Jubiläum bei, dass Infopoints im Park die wahren Hintergründe des Denkmals aufzeigen.




Übrigens: Das Gerücht von der versteckten Wildschweinsilhouette im Löwendenkmal ist vermutlich genau das. Nur ein Gerücht.

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